Der Zauberberg
Castorp in seinem Abteil zurück, in treibender Versuchung, den Chef sogleich zur Rede zu stellen. Doch ging das nicht an, da Joachim sein Aufstehen gehört hätte, und so war Aufschub geboten und Behrens im Laufe des Nachmittags abzufangen.
Das aber gelang nicht. Sonderbar! Es wollte durchaus nicht gelingen, des Hofrats habhaft zu werden, und zwar weder diesen Abend, noch während der ganzen beiden folgenden Tage. Natürlich war Joachim etwas hinderlich, da er nichts merken sollte, aber das reichte nicht hin, zu erklären, weshalb die Un {797} terredung nicht zu erlangen und Radamanth auf keine Weise dingfest zu machen war. Hans Castorp suchte und fragte nach ihm im ganzen Hause, wurde dahin und dorthin gewiesen, wo er ihn sicher treffen werde, und fand ihn dann eben nicht mehr dort. Bei einer Mahlzeit war Behrens zugegen, saß aber weit fort, am Schlechten Russentisch und verschwand vor dem Dessert. Ein paarmal glaubte Hans Castorp ihn schon am Knopf zu halten, er sah ihn auf Treppen und Gängen im Gespräch mit Krokowski, mit der Oberin, mit einem Patienten stehen und paßte ihm auf. Aber da er nur eben die Augen abgewandt hatte, war Behrens weg.
Am vierten Tage erst kam er zum Ziel. Von seinem Balkon aus sah er den Verfolgten im Garten dem Gärtner Anweisungen geben, schlüpfte geschwind aus der Decke und eilte hinunter. Eben ruderte der Hofrat mit rundem Nacken gegen seine Wohnung davon. Hans Castorp trabte und erlaubte sich sogar, zu rufen, fand aber kein Gehör. Endlich, atemlos anlangend, brachte er seinen Mann zum Stehen.
»Was haben Sie hier zu suchen!« herrschte der Hofrat ihn mit quellenden Augen an. »Soll ich Ihnen ein Extra-Exemplar der Hausordnung aushändigen lassen? Meines Wissens ist Liegekur. Ihre Kurve und die Platte geben Ihnen gar kein besonderes Recht, den Freiherrn zu spielen. Man sollte hier irgendwo so eine göttliche Diebsscheuche anbringen lassen, die Leute, die zwischen zwei und vier im Garten Libertinage treiben, mit Aufspießung bedroht! Was wollen Sie eigentlich?«
»Herr Hofrat, ich muß Sie unbedingt einen Augenblick sprechen!«
»Das merke ich, daß Sie sich das schon lange einbilden. Sie stellen mir ja nach, als ob ich ein Frauenzimmer und wunder was für ein Lustobjekt wäre. Was wollen Sie von mir?«
»Es ist nur wegen meines Vetters, Herr Hofrat, entschuldigen Sie! Er wird nun gepinselt … Ich bin überzeugt, daß damit die {798} Sache auf gutem Wege ist. Sie ist doch harmlos, – wollte ich mir nur zu fragen erlauben?«
»Sie wollen immer alles harmlos haben, Castorp, so sind Sie. Sie sind gar nicht abgeneigt, sich auch einmal mit Nichtharmlosigkeiten einzulassen, aber dann behandeln Sie sie, als ob sie harmlos wären, und damit glauben Sie sich vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Sie sind eine Art von Feigling und Duckmäuser, Mensch, und wenn Ihr Vetter Sie einen Zivilisten nennt, so ist das noch sehr euphemistisch ausgedrückt.«
»Kann alles sein, Herr Hofrat. Natürlich, die Schwächen meines Charakters stehen doch außer Frage. Aber das ist es eben, daß sie im Augenblick wohl außer Frage stehen, und was ich Sie schon seit drei Tagen bitten wollte, ist nur –«
»Daß ich Ihnen recht angenehm gezuckerten und gepantschten Wein einschenke! Sie wollen mich behelligen und mich langweilen, damit ich Sie in Ihrer verdammten Duckmäuserei befestige, und damit Sie in Unschuld schlafen können, während andere Leute wachen und sich den Wind um die Nase wehen lassen.«
»Aber, Herr Hofrat, Sie sind recht streng mit mir. Ich wollte im Gegenteil –«
»Ja, Strenge, das ist nun gerade gar nicht Ihre Sache. Da ist Ihr Vetter ein anderer Kerl, von anderem Schrot und Korn. Der weiß Bescheid. Der weiß
schweigend
Bescheid, verstehen Sie mich? Der hängt sich den Leuten nicht an die Rockschöße, um sich blauen Dunst und Harmlosigkeit vormachen zu lassen. Der wußte, was er tat und was er daransetzte, und ist ein Mannsbild, das sich auf Haltung versteht und aufs Maulhalten, was eine männliche Kunst ist, aber leider nicht die Sache von solchen bipedischen Annehmlichkeiten wie Sie. Aber das sage ich Ihnen, Castorp, wenn Sie hier Szenen aufführen und ein Geschrei erheben und sich Ihren Zivilgefühlen überlassen, so setze ich Sie an die Luft. Denn hier wollen Männer unter sich sein, verstehen Sie mich.«
{799} Hans Castorp schwieg. Er wurde jetzt auch fleckig, wenn er sich verfärbte. Er war zu kupferrot, um ganz blaß zu werden. Schließlich sagte er mit
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