Der Zauberberg
hast es gewußt.«
»Was fällt Ihnen ein!«
Längeres Stillschweigen. Er widerrief nichts. Er wartete, den Wirbel gegen die steile Lehne gedrückt, mit Seherblick auf das Wiederlautwerden der Stimme, ungewiß aufs neue, ob sie noch hinter ihm sei, befürchtend, das abgerissene Musizieren nebenan möchte das Geräusch sich entfernender Schritte verschlungen haben. Endlich jedoch kam es wieder:
»Und Monsieur ist nicht einmal zum Begräbnis des Vetters gefahren?«
Er antwortete:
»Nein, ich habe ihm hier Adieu gesagt, bevor man ihn einschloß, da er anfing, zu lächeln. Du glaubst nicht, wie kalt seine Stirne war.«
»Schon wieder! Was für eine Redeweise zu einer Dame, die man kaum kennt!«
{844} »Soll ich humanistisch reden statt menschlich?« (Unwillkürlich dehnte auch er das Wort auf schläfrige Weise, ungefähr wie jemand, der sich reckt und gähnt.)
»Quelle blague! – Sie waren immer hier?«
»Ja. Ich habe gewartet.«
»Worauf?«
»Auf dich.«
Ein Lachen zu seinen Häupten, hervorgestoßen zugleich mit dem Worte »Narr!« »Auf mich! Man wird dich nicht fortgelassen haben.«
»Doch, Behrens hätte mich einmal fortgelassen, im Jähzorn. Aber es wäre nur wilde Abreise gewesen. Denn außer den alten Narben von früher her, aus meiner Schulzeit, du weißt, ist da die frische Stelle, die Behrens gefunden hat, und die mir das Fieber macht.«
»Immer noch Fieber?«
»Ja, immer etwas. Fast immer. Es wechselt. Aber es ist kein Wechselfieber.«
»Des allusions?«
Er schwieg. Er machte finstere Brauen über seinem Seherblick. Nach einer Weile fragte er:
»Und wo warst
du
?«
Eine Hand schlug auf die Stuhllehne.
»Mais c’est un sauvage! – Wo ich war? Überall. In Moskau« (die Stimme sagte »Muoskau«, – es war eine ähnlich träge Dehnung wie die von »mähnschlich«), »in Baku, in deutschen Bädern, in Spanien.«
»O, in Spanien. Wie war es?«
»Soso. Man reist schlecht. Die Leute sind halbe Mohren. Kastilien ist sehr dürr und starr. Der Kreml ist schöner als das Schloß oder Kloster dort am Fuß des Gebirges …«
»Der Eskorial.«
»Ja, Philipps Schloß. Ein unmähnschliches Schloß. Mir hat {845} viel besser gefallen der Volkstanz in Katalunien, die Sardana, zum Dudelsack. Ich habe selbst mitgetanzt. Alle fassen sich an und tanzen Ringelreihn. Der ganze Platz ist voll. C’est charmant. Es ist mähnschlich. Ich habe mir eine kleine blaue Mütze gekauft, wie dort alle Männer und Knaben des Volks sie tragen, fast schon ein Fes, die Boina. Ich trage sie in der Liegekur und sonst. Monsieur wird urteilen, ob sie mir gut steht.«
»Welcher Monsieur?«
»Der hier im Stuhl.«
»Ich dachte: Mynheer Peeperkorn.«
»Der hat schon geurteilt. Er sagt, sie stände mir reizend.«
»Hat er das gesagt? Zu Ende gesagt? Den Satz zu Ende gesprochen, daß man ihn verstehen konnte?«
»Ah, es scheint, man ist mißgelaunt. Man möchte boshaft sein, beißend. Man versucht, sich lustig zu machen über Leute, die viel größer und besser und mähnschlicher sind als man selber mitsamt seinem … avec son ami bavard de la Méditerranée, son maître grand parleur … Aber ich werde nicht erlauben, daß man meine Freunde –«
»Hast du mein Innenporträt noch?« unterbrach er die Stimme in schwermütigem Tonfall.
Sie lachte. »Ich müßte einmal danach suchen.«
»Ich trage das deine hier. Außerdem habe ich eine kleine Staffelei auf meiner Kommode, wo es bei Nacht und –«
Er kam nicht zu Ende. Vor ihm stand Peeperkorn. Er hatte sich nach seiner Reisebegleiterin umgesehen; durch die Portiere war er hereingekommen und stand vor dem Stuhle dessen, mit dem er sie hinterrücks plaudern sah, – stand da wie ein Turm, und zwar dicht vor Hans Castorps Füßen, so daß dieser, durch seinen Somnambulismus nicht an der Einsicht gehindert, daß es nun aufzustehen und höflich zu sein gelte, Mühe hatte, zwischen den beiden von seinem Stuhle emporzukommen, – er mußte sich seitlich davon herunterschieben, so daß {846} denn also die handelnden Personen in einem Dreieck standen, den Stuhl in ihrer Mitte.
Frau Chauchat genügte einer Forderung des gesitteten Abendlandes, indem sie »die Herren« einander vorstellte. Ein Bekannter von früher her, sagte sie in Bezug auf Hans Castorp, – aus Tagen ihres vorigen Aufenthalts. Herrn Peeperkorns Existenz bedurfte keiner Erläuterung. Sie nannte seinen Namen, und der Holländer, den blassen Blick unter dem idolhaften Arabeskenwerk seiner aufmerksam
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