Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Besitz ergriffen, und der darunter litt, daß er bei der leichtlebigen Mehrzahl kein Gehör dafür fand. Ein ehemaliger Bildhauer aus der österreichischen Provinz, ein schon älterer Mann mit weißem Schnurrbart, einer Hakennase und blauen Augen, hatte einen Plan finanzpolitischer Art gefaßt – {957} und ihn, unter Markierung entscheidender Stellen durch Pinselstriche von Sepiawasserfarbe, in Schönschrift aufgesetzt –, der darauf ausging, daß jeder Zeitungsbezieher gehalten sein solle, eine tägliche Teilmenge von 40 Gramm Altzeitungspapier, gesammelt am ersten jeden Monats, abzuliefern, was denn im Jahre rund 14 000 Gramm, in zwanzig Jahren aber nicht weniger als 288 Kilo ausmachen und, das Kilo zu zwanzig Pfennigen berechnet, einen Wert von 57,60 deutschen Mark darstellen werde. Fünf Millionen Abonnenten, so fuhr das Memorandum fort, würden also in zwanzig Jahren an Altzeitungswerten die ungeheuere Summe von 288 Millionen Mark abliefern, wovon ihnen zwei Drittel auf das Neuabonnement möchten angerechnet werden, das sich so verbilligen werde, der Rest aber, ein Drittel, gegen 100 Millionen Mark, für humanitäre Zwecke, zur Finanzierung volkstümlicher Lungenheilstätten, zur Unterstützung bedrängter Talente und so weiter, frei werden würde. Der Plan war ausgearbeitet bis auf die zeichnerische Darstellung des Zentimeterpreisstockes, von dem das Altpapierabholorgan allmonatlich den Wert der gesammelten Papiermenge ablesen sollte, und der gelochten Formulare, mit denen Vergütungsgelder quittiert werden sollten. Er war gerechtfertigt und begründet nach allen Seiten. Die unbesonnene Vergeudung und Vernichtung von Zeitungspapier, das von Unaufgeklärten dem Spülwasser, dem Feuer ausgesetzt werde, bedeute Hochverrat an unserem Walde, an unserer Volkswirtschaft. Papier schonen, Papier sparen heiße Zellstoff, den Waldbestand, Menschenmaterial schonen und sparen, das bei der Fabrikation von Zellstoff und Papier verbraucht werde, nicht minder Menschenmaterial und Kapital. Da ferner Altzeitungspapier auf dem Wege über die Packpapier- und Kartonageerzeugung leicht in vierfache Werte gesteigert werden könne, so werde es Wirtschaftsfaktor von Belang und Unterlage ergiebiger staatlicher und gemeindlicher Besteuerungen werden, {958} die Zeitungsleser als Steuersubjekte entlasten. Kurzum, der Plan war gut, war eigentlich unwidersprechlich, und wenn ihm Unheimlich-Müßiges, ja Finster-Närrisches anhaftete, so eben nur des schiefen Fanatismus wegen, womit der vormalige Künstler eine ökonomische Idee, und gerade nur diese verfolgte und verfocht, mit der es ihm offenbar im Innersten so wenig ernst war, daß er nicht den geringsten Versuch unternahm, sie ins Werk zu setzen … Hans Castorp hörte dem Mann mit schrägem Kopfe nickend zu, wenn er mit fiebrig beschwingten Worten seinen Heilsgedanken vor ihm propagierte, und untersuchte dabei das Wesen der Verachtung und des Widerwillens, die seine Parteinahme für den Erfinder gegen die gedankenlose Welt beeinträchtigten.
    Einige Berghofinsassen trieben Esperanto und wußten sich etwas damit, in dem künstlichen Kauderwelsch bei Tische zu konversieren. Hans Castorp blickte sie finster an, indem er übrigens bei sich selber dafür hielt, daß sie die Schlimmsten nicht seien. Es gab hier seit kurzem eine Gruppe von Engländern, die ein Gesellschaftsspiel eingeführt hatten, welches in nichts anderem bestand, als daß ein Teilnehmer an seinen Nachbarn im Kreise die Frage richtete: »Did you ever see the devil with a night-cap on?«, der Gefragte aber zur Antwort gab: »No! I never saw the devil with a night-cap on«, worauf er die Frage andererseits weitergab – und so immer reihum. Das war entsetzlich. Aber dem armen Hans Castorp war doch noch schlimmer zumute beim Anblick der Patienceleger, die überall im Hause und zu jeder Tageszeit zu beobachten waren. Denn die Leidenschaft für diese Zerstreuung war neuestens derart eingerissen, daß sie buchstäblich das Haus zur Lasterhöhle machte, und Hans Castorp hatte um so mehr Ursache, sich grauenhaft davon berührt zu fühlen, als er selber zeitweise ein Opfer – und zwar vielleicht das hingenommenste – der Seuche war. Die Elferpatience hatte es ihm angetan: jene Form, bei der {959} man die Whistkarte zu je drei Blatt in drei Reihen auslegt und zwei Karten, die zusammen elf ausmachen, sowie die drei Bildkarten, wenn sie offen daliegen, neu bedeckt, bis bei holdem Glücke das Spiel aufgeht. Man sollte nicht für

Weitere Kostenlose Bücher