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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Jahrhunderts aus solennem Anlaß, bei Gelegenheit der Übergabe eines Werkes der völkerverbindenden Technik an die Menschheit, im Auftrage eines orientalischen Fürsten geschaffen hatte. Hans Castorp wußte bildungsweise ungefähr Bescheid damit, er kannte in großen Zügen das Schicksal des Radames, der Amneris und der Aida, die ihm auf Italienisch aus dem Kasten sangen, und so verstand er so ziemlich, was sie ihm sangen, – der unvergleichliche Tenor, der fürstliche Alt mit dem herrlichen Stimmbruch in der Mitte seines Umfanges und der silberne Sopran – verstand nicht jedes Wort, aber doch eines hie und da mit Hilfe seiner Kenntnis der Situationen und seiner Sympathie für diese Situationen, einer vertraulichen Anteilnahme, die wuchs, je öfter er die vier oder fünf Platten laufen ließ, und schon zur wirklichen Verliebtheit geworden war.
    Zuerst setzten Radames und Amneris sich auseinander: Die Königstochter ließ den Gefesselten vor sich führen, ihn, den sie liebte und sehnlich für sich zu retten wünschte, obgleich er um der barbarischen Sklavin willen Vaterland und Ehre hingegeben hatte, – während allerdings, wie er sagte, »im Herzensgrunde die Ehre unverletzt geblieben« war. Diese Intaktheit seines Innersten bei aller Schuldbeladenheit jedoch half ihm wenig, denn durch sein klar zutage liegendes Verbrechen war er dem geistlichen Gerichte verfallen, dem alles Menschliche fremd war, und das bestimmt kein Federlesen machen würde, wenn er sich nicht im letzten Augenblick dahin besann, der {976} Sklavin abzuschwören und sich dem königlichen Alt mit dem Stimmbruch in die Arme zu werfen, der dies, rein akustisch genommen, so vollkommen verdiente. Amneris gab sich die inbrünstigste Mühe mit dem wohllautenden, aber tragisch verblendeten und dem Leben abgewandten Tenor, der immer nur »Ich kann nicht!« und »Vergebens!« sang, wenn sie ihm mit verzweifelten Bitten anlag, der Sklavin zu entsagen, es gelte sein Leben. »Ich kann nicht!« – »Höre noch einmal, entsage ihr!« – »Vergebens!« Todwillige Verblendung und wärmster Liebeskummer vereinigten sich zu einem Zwiegesang, der außerordentlich schön war, aber keine Hoffnung ließ. Und dann begleitete Amneris mit ihren Schmerzensrufen die schauerlich-formelhaften Repliken des geistlichen Gerichtes, die dumpf aus der Tiefe schollen, und an denen der unselige Radames sich überhaupt nicht beteiligte.
    »Radames, Radames«, sang dringlich der Oberpriester und führte ihm in zugespitzter Form sein Verbrechen des Verrates vor Augen.
    »Rechtfertige dich!« forderten im Chore alle Priester.
    Und da der Oberste darauf hinweisen konnte, daß Radames schwieg, erkannten alle in hohler Einstimmigkeit auf Felonie.
    »Radames, Radames!« fing der Vorsitzende wieder an. »Du hast das Lager vor der Schlacht verlassen.«
    »Rechtfertige dich!« hieß es abermals. »Seht, er schweiget«, durfte der stark voreingenommene Verhandlungsleiter zum zweitenmal feststellen, und so vereinigten auch diesmal alle Richterstimmen sich mit der seinen in dem Wahrspruch: »Felonie!«
    »Radames, Radames!« hörte man den unerbittlichen Ankläger zum drittenmal. »Dem Vaterlande, der Ehre und dem Könige brachst du deinen Eid.« – »Rechtfertige dich!« scholl es aufs neue. Und: »Felonie!« erkannte endgültig und mit Schauder die Priesterschaft, nachdem sie aufmerksam gemacht wor {977} den, daß Radames absolut stillschwieg. So konnte denn das Unausbleibliche nicht ausbleiben, daß der Chor, der stimmlich gleich beieinander geblieben war, dem Missetäter für Recht verkündete, sein Los sei erfüllt, er sterbe den Tod der Verfluchten, unter dem Tempel der zürnenden Gottheit habe er lebend ins Grab einzugehen.
    Die Entrüstung der Amneris über diese pfäffische Härte mußte man sich nach Kräften selber einbilden, denn hier brach die Wiedergabe ab, Hans Castorp mußte die Platte wechseln, was er mit stillen und knappen Bewegungen, gleichsam mit niedergeschlagenen Augen, tat, und wenn er sich wieder zum Lauschen niedergelassen hatte, war es schon des Melodramas letzte Szene, die er vernahm: das Schlußduett des Radames und der Aida, gesungen auf dem Grunde ihres Kellergrabes, während über ihren Köpfen bigotte und grausame Priester im Tempel ihren Kult feierten, die Hände spreizten, sich in dumpfem Gemurmel ergingen … »Tu – in questa tomba?!« schmetterte die unbeschreiblich ansprechende, zugleich süße und heldenhafte Stimme des Radames entsetzt und

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