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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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einen nach dem anderen, wie sie eben kommen wollten, aber doch in geglücktem Reigen, und so stieg das sorglose Genäsel zum tiefblauen Himmel auf, unter dem das feine, leicht vom Winde bewegte Blätterwerk einzeln stehender Birken und Eschen in der Sonne flimmerte. Doch war sein beschauliches und unver {980} antwortlich-halbmelodisches Dudeln nicht lange die einzige Stimme der Einsamkeit. Das Summen der Insekten in der sommerheißen Luft über dem Grase, der Sonnenschein selbst, der leichte Wind, das Schwanken der Wipfel, das Glitzern des Blätterwerks, – der ganze sanft bewegte Sommerfriede umher wurde gemischter Klang, der seinem einfältigen Schalmeien eine immer wechselnde und immer überraschend gewählte harmonische Deutung gab. Die symphonische Begleitung trat manchmal zurück und verstummte; aber Hans mit den Bocksbeinen blies fort und lockte mit der naiven Eintönigkeit seines Spiels den ausgesucht kolorierten Klangzauber der Natur wieder hervor, – welcher endlich nach einem abermaligen Aussetzen, in süßer Selbstübersteigerung, durch Hinzutritt immer neuer und höherer Instrumentalstimmen, die rasch nacheinander einfielen, alle verfügbare, bis dahin gesparte Fülle gewann, für einen flüchtigen Augenblick, dessen wonnevoll-vollkommenes Genügen aber die Ewigkeit in sich trug. Der junge Faun war sehr glücklich auf seiner Sommerwiese. Hier gab es kein »Rechtfertige dich!«, keine Verantwortung, kein priesterliches Kriegsgericht über einen, der der Ehre vergaß und abhanden kam. Hier herrschte das Vergessen selbst, der selige Stillstand, die Unschuld der Zeitlosigkeit: Es war die Liederlichkeit mit bestem Gewissen, die wunschbildhafte Apotheose all und jeder Verneinung des abendländischen Aktivitätskommandos, und die davon ausgehende Beschwichtigung machte dem nächtlichen Musikanten die Platte vor vielen wert. –
    Da war eine dritte … Es waren eigentlich wiederum mehrere, zusammengehörig, ineinandergehend, drei oder vier, denn die Tenorarie, die vorkam, nahm allein eine bis zur Mitte beringte Seite für sich in Anspruch. Wieder war das etwas Französisches, aus einer Oper, die Hans Castorp gut kannte, die er wiederholt im Theater gehört und gesehen und auf deren {981} Handlung er einmal sogar gesprächsweise – und zwar in einem sehr entscheidenden Gespräch – eine Anspielung gemacht hatte … Es war im zweiten Akt, in der spanischen Schenke, einer geräumigen Spelunke, dielenartig, mit Tüchern geschmückt und von defekter maurischer Architektur. Carmens warme, ein wenig rauhe, aber durch Rassigkeit einnehmende Stimme erklärte, tanzen zu wollen vor dem Sergeanten, und schon hörte man ihre Kastagnetten klappern. In demselben Augenblick aber erschollen aus einiger Entfernung Trompeten, Clairons, ein wiederholtes militärisches Signal, das dem Kleinen nicht wenig in die Glieder fuhr. »Halt! Einen Augenblick!« rief er und spitzte die Ohren wie ein Pferd. Und da Carmen »Warum?« fragte und »was es denn gäbe?«: »Hörst du nicht?« rief er, ganz erstaunt, daß ihr das nicht eingehe, wie ihm. Es seien ja die Trompeten aus der Kaserne, die das Zeichen gäben. »Zur Heimkehr naht die Frist«, sagte er opernhaft. Aber die Zigeunerin konnte das nicht begreifen und wollte es vor allem auch gar nicht. Desto besser, meinte sie halb dumm, halb frech, da brauchten sie keine Kastagnetten, der Himmel selbst schicke ihnen Musik zum Tanz und darum: Lalalala! – Er war außer sich. Sein eigener Enttäuschungsschmerz trat ganz zurück hinter dem Bemühen, ihr klarzumachen, um was es sich handle, und daß keine Verliebtheit der Welt gegen dieses Signal aufkomme. Wie war es denn möglich, daß sie etwas so Fundamentales und Unbedingtes nicht verstand! »Ich muß nun fort, nach Haus, ins Quartier, zum Appell!« rief er, verzweifelt über eine Ahnungslosigkeit, die ihm das Herz doppelt so schwer machte, als es ohnedies gewesen wäre. Da aber mußte man Carmen hören! Sie war wütend, sie war in tiefster Seele empört, ihre Stimme war ganz und gar betrogene und beleidigte Liebe – oder sie stellte sich so. »Ins Quartier? Zum Appell?« Und ihr Herz? Und ihr gutes, zärtliches Herz, das in seiner Schwäche – ja, sie gebe es zu: in seiner Schwäche! – bereit gewesen sei, ihm {982} mit Gesang und Tanz die Zeit zu kürzen? »Traterata!« und sie hob mit wildem Hohn die gerollte Hand an den Mund, um das Clairon nachzuahmen. »Traterata!« Und das genüge. Da springe der Dummkopf in die Höhe

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