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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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materialisierte Hände hatten sich ereignet. Staatsanwalt Paravant hatte aus der Transzendenz eine derbe Backpfeife empfangen und mit wissenschaftlicher Heiterkeit quittiert, ja, vor Begier sogar noch die andere Backe hingehalten, – ungeachtet seiner Eigenschaften als Kavalier, Jurist und Alter Herr einer schlagenden Verbindung, welche alle ihn zu einem ganz anderen Verhalten würden genötigt haben, wäre der Streich vitaler Herkunft gewesen. A. K. Ferge, dieser schlichte Dulder, dem alles Höhere fernlag, hatte eines Abends ein solches Geisterglied in seiner eigenen Hand gehalten und durch den Tastsinn die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Bildung festgestellt, worauf es sich seinem Griff, der herzhaft in den Grenzen des Respektes gewesen war, auf nicht genau zu beschreibende Weise entzogen {1015} hatte. Es dauerte geraume Frist, wohl zweieinhalb Monate, bei zwei Sitzungen wöchentlich, bis eine Hand so hinterweltlicher Herkunft, rötlich angestrahlt von einem mit rotem Papier verdunkelten Tischlämpchen – eines jungen Mannes Hand, wie es hatte scheinen wollen, – über der Tischplatte fingernd sich allen Blicken dargestellt und in einer irdenen Schüssel mit Mehl ihre Spur hinterlassen hatte. Aber nur acht Tage später geschah es, daß eine Gruppe von Mitarbeitern Dr. Krokowskis, Herr Albin, die Stöhr, das Ehepaar Magnus, noch gegen Mitternacht mit allen Anzeichen verzerrter Begeisterung und fieberigen Entzückens in Hans Castorps Balkonloge erschien und dem in beißendem Froste Dämmernden in fliegendem Durcheinander berichtete, Ellys Holger habe sich sehen lassen, über der Schulter der Somnambulen habe sein Kopf sich gezeigt, er habe wirklich »schöne braune, braune Locken« gehabt und so unvergeßlich sanft und melancholisch gelächelt, bevor er verschwand!
    Wie stimmte, dachte Hans Castorp, diese edle Trauer mit Holgers anderweitigem Benehmen, seinen phantasielosen Kindereien und simplen Bubenstücken, der ganz unmelancholischen Tatze, zum Beispiel, zusammen, die der Staatsanwalt von ihm eingesteckt? Folgerechte Geschlossenheit des Charakters war hier offenbar nicht zu fordern. Vielleicht lag eine Gemütsverfassung vor, ähnlich der des bucklichen Männleins im Liede, seiner kummervollen und fürbittebedürftigen Bosheit. Holgers Verehrer schienen sich darüber keine Gedanken zu machen. Was ihnen am Herzen lag, war, Hans Castorp zum Aufgeben seiner Enthaltsamkeit zu bestimmen. Unbedingt müsse er der nächsten Sitzung beiwohnen, nun, wo alles so prächtig stehe. Denn Elly habe im Schlafe versprochen, das nächste Mal jeden beliebigen Verstorbenen vorzuführen, der aus dem Kreise würde verlangt werden.
    Jeden beliebigen? Hans Castorp hielt sich trotzdem ableh {1016} nend. Aber daß es jeder beliebige Abgeschiedene sein könne, beschäftigte ihn dennoch in einem Maße, daß er im Laufe der nächsten drei Tage zu entgegengesetzten Beschlüssen kam. Genau genommen waren es nicht diese drei Tage, sondern nur einige Minuten davon, die ihn dazu brachten. Seine Sinnesänderung vollzog sich, während er zu einsamer Abendstunde im Musiksalon wieder einmal jene Platte laufen ließ, in welche Valentins erzsympathische Persönlichkeit eingeprägt war, – während er in seinem Stuhl diesem Soldatengebet des scheidenden Braven lauschte, den es aufs Feld der Ehre drängte, und der sang:
    »Und ruft mich Gott zu Himmelshöhn,
    Will schützend ich auf dich herniedersehn,
    O Margarete!«
    Da hob sich, wie immer bei diesem Gesange, aber diesmal durch gewisse Möglichkeiten verstärkt und zum Wunsche verdichtet, große Rührung auf in Hans Castorps Brust, und er dachte: »Müßig und sündig oder nicht, es wäre doch herzlich seltsam und ein sehr liebes Abenteuer. Er, wenn er damit zu tun hat, wird es nicht übelnehmen, wie ich ihn kenne.« Und er erinnerte sich des gleichmütig-liberalen »Bitte, bitte!«, das er einst, im Durchleuchtungslaboratorium, aus der Nacht zur Antwort erhalten, als er um Erlaubnis zu gewissen optischen Indiskretionen einkommen zu sollen geglaubt hatte.
    Am nächsten Morgen meldete er seine Teilnahme an der abendlich bevorstehenden Sitzung an und gesellte sich eine halbe Stunde nach dem Diner zu denen, die, unbeklommen plaudernd, als Habitués des Nichtgeheueren, den Weg ins Kellergeschoß einschlugen. Es waren lauter wurzelständig Alteingesessene oder doch längst Zugehörige, wie Dr. Ting-Fu und der Böhme Wenzel, mit denen er auf der Treppe und dann in Dr. Krokowskis Gelaß

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