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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Diapositiv, das {1010} Clawdia Chauchats Innenporträt zeigte, und das bestimmt nicht er, Hans Castorp, in dieses Zimmer eingeführt hatte.
    Er steckte es zu sich, ohne von der Erscheinung Aufhebens zu machen. Man war um Ellen Brand beschäftigt, die immer noch in der beschriebenen Haltung, blinden Blickes und mit sonderbar geziertem Gesichtsausdruck an ihrem Platze saß. Herr Albin blies sie an und ahmte vor ihrem Gesichtchen die aufwärts fächelnde Handbewegung Dr. Krokowskis nach, worauf sie sich ermunterte und – unklar, warum – ein wenig weinte. Man streichelte, tröstete sie, küßte sie auf die Stirn und schickte sie schlafen. Die Levi erklärte sich bereit, die Nacht bei Frau Stöhr zu verbringen, da die tiefstehende Frau vor Grauen nicht wußte, wie sie ins Bett kommen sollte. Hans Castorp, seinen Apport in der Brusttasche, hatte nichts dagegen, den ausgearteten Abend mit den anderen Herren auf Albins Zimmer mit einem Kognak zu beschließen, denn er fand, daß Vorkommnisse gleich diesen zwar weder auf das Herz noch auf den Geist, wohl aber auf die Magennerven Wirkung übten – und zwar eine nachhaltige Wirkung, so, wie der Seekranke wohl noch am Lande stundenlang die übelkeiterregenden Schwankungen zu spüren meint.
    Vorderhand war seine Neugier gestillt. Holgers Gedicht war ja im Augenblick nicht übel gewesen, aber die vorausgeahnte innere Hoffnungslosigkeit und Abgeschmacktheit des Ganzen hatte sich ihm doch so unverkennbar aufgedrängt, daß es, so dachte er, bei diesen wenigen Flocken Höllenfeuers, die ihn angestoben, sein Bewenden haben mochte. Herr Settembrini, wie sich denken läßt, bestärkte ihn aus allen Kräften in diesem Vorsatz, als Hans Castorp ihm von seinen Erlebnissen erzählte. »Das,« rief er, »war alles, was noch gefehlt hatte! O Elend, Elend!« Und kurzerhand erklärte er die kleine Elly für eine abgefeimte Betrügerin.
    Sein Zögling sagte nicht ja und nicht nein dazu. Er meinte {1011} achselzuckend, was Wirklichkeit sei, scheine nicht bis zur Unzweideutigkeit klargestellt und folglich auch nicht, was Betrug. Vielleicht sei die Grenze fließend. Vielleicht gäbe es Übergänge zwischen beidem, Grade der Realität innerhalb der wort- und wertungslosen Natur, die sich einer Entscheidung entzögen, der, wie ihm scheine, etwas stark Moralisches anhafte. Wie Herr Settembrini über das Wort »Gaukelei« denke, diesen Begriff, in welchem Elemente des Traumes und solche der Realität eine Mischung eingingen, die der Natur vielleicht weniger fremd sei, als unserem derben Tagesdenken. Das Geheimnis des Lebens sei buchstäblich bodenlos, und was Wunder denn, wenn gelegentlich Gaukeleien daraus aufstiegen, die – und so fort in unseres Helden freundlich zugeständlicher und reichlich laxer Art.
    Herr Settembrini wusch ihm den Kopf nach Gebühr und erzielte denn auch eine augenblickliche Gewissensstärkung und etwas wie ein Versprechen, an solchem Greuel nie wieder teilhaben zu wollen. »Achten Sie«, so forderte er, »den Menschen in sich, Ingenieur! Vertrauen Sie dem klaren und humanen Gedanken und verabscheuen Sie die Hirnverrenkung, den geistigen Pfuhl! Gaukelei? Lebensgeheimnis? Caro mio! Wo der sittliche Mut zu Entscheidungen und Unterscheidungen, wie der zwischen Betrug und Wirklichkeit, sich zersetzt, da ist es mit dem Leben überhaupt, dem Urteile, dem Werte, der bessernden Tat zu Ende, und der Verwesungsprozeß moralischer Skepsis beginnt sein schauerliches Werk.« Der Mensch sei das Maß der Dinge, sagte er noch. Sein Recht, über Gut und Böse, Wahrheit und Lügenschein erkennend zu befinden, sei unveräußerlich, und wehe dem, der ihn im Glauben an dieses schöpferische Recht zu beirren sich unterfange! Es sei ihm besser, einen Mühlstein um den Hals im tiefsten Brunnen ertränkt zu werden.
    Hans Castorp nickte dazu und hielt sich in der Tat fürs erste {1012} von diesen Unternehmungen fern. Er hörte, daß Dr. Krokowski in seinem analytischen Souterrain mit Ellen Brand Sitzungen veranstalte, zu denen ausgewählte Mitglieder der Gästeschaft zugezogen wurden. Aber er lehnte die Beteiligung gleichgültig ab, – natürlich nicht ohne über die Versuchserfolge aus dem Munde der Mitwirkenden und Dr. Krokowskis selbst dies und das zu erfahren. Kraftäußerungen von der Art, wie sie im Zimmer der Kleefeld wilder und unwillkürlicher Weise sich ereignet hatten: Schläge also gegen Tisch und Wände, das Abdrehen der Lampe und anderes, weitergehendes, wurden bei diesen

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