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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Weile zurückkehre, werde es besser und jedenfalls außerordentlich liebenswürdig von ihm sein, wenn er dem Kreise vielleicht noch eine oder die andere sachliche Frage beantworten wolle, – noch unbestimmt welche, aber ob er gegebenenfalls wohl grundsätzlich und aus besonderer Gefälligkeit bereit dazu sein würde?
    »Ja«, lautete die Antwort. Doch nun entdeckte sich Ratlosigkeit, was zu fragen sei. Es war wie im Märchen, wenn die Fee oder das Männchen eine Frage freigeben und man Gefahr läuft, die kostbare Möglichkeit ganz müßig zu vertun. Vieles schien {1008} wissenswert in Welt und Zukunft, und verantwortungsvoll war es, eine Wahl zu treffen. Da niemand zum Entschluß kommen mochte, sagte Hans Castorp, einen Finger am Glase, die linke Wange in seine Faust gestützt, er wolle hören, wie hoch sich, statt der drei Wochen, die er ursprünglich zu bleiben gedacht hatte, die Zeit seines Aufenthaltes hier oben belaufen werde.
    Gut, da man nichts Besseres wußte, mochte der Geist dies Erste-Beste aus der Fülle seiner Kenntnisse künden. Nach einigem Zögern rückte das Glas. Es rückte etwas ganz Sonderbares und, wie es scheinen wollte, Beziehungsloses, worauf sich einen Vers zu machen, niemandem gelingen wollte. Es rückte die Silbe »Geh« und dann das Wort »Quer«, womit man erst recht nichts anzufangen wußte, und danach rückte es etwas von Hans Castorps Zimmer, so daß die ganze knappe Anweisung lautete, der Fragende solle »quer durch sein Zimmer gehen«. – Quer durch sein Zimmer? Quer durch Nummer 34? Was sollte nun das? Während man saß und beriet und die Köpfe schüttelte, geschah auf einmal ein schwerer Faustschlag gegen die Tür.
    Alle erstarrten. War das ein Überfall? Stand Dr. Krokowski draußen, um die verbotene Sitzung aufzuheben? Man schaute betreten, man gewärtigte den Eintritt des Hintergangenen. Da schlug es krachend mitten auf den Tisch, wiederum wie mit voller Faust und gleichsam um klarzustellen, daß auch der erste Schlag nicht von außen, sondern von innen gefallen war.
    Das war ein minderwertiger Scherz Herrn Albins gewesen! – Er leugnete ehrenwörtlich, und übrigens waren alle auch ohne sein Wort so gut wie sicher, daß niemand aus ihrer Runde den Schlag geführt hatte. So hatte es Holger getan? Sie blickten auf Elly, deren stilles Verhalten allen gleichzeitig auffällig geworden war. Sie saß, die Fingerspitzen bei hängenden Handgelenken auf der Tischkante, an ihrer Stuhllehne, den Kopf zur Schulter geneigt, die Augenbrauen empor-, das Mündchen {1009} aber, verkleinert, etwas nach unten gezogen, mit einem ganz kleinen Lächeln, das zugleich etwas Verstecktes und Unschuldiges hatte, und blickte mit blauen Kinderaugen, die nichts sahen, schräg ins Leere. Man rief sie an, doch ohne daß sie ein Zeichen von Gegenwart gegeben hätte. In diesem Augenblick erlosch das Nachttischlämpchen.
    Erlosch? Frau Stöhr, nicht mehr zu halten, schrie Hi und Hu, denn sie hatte es knipsen hören. Das Licht war nicht ausgegangen, es war abgedreht worden, von einer Hand, die man sehr schonend kennzeichnete, wenn man sie eine
fremde
Hand nannte. War es Holgers Hand? Er war so sanft, so diszipliniert und poetisch gewesen bis dahin; jetzt aber hatte sein Wesen begonnen, in Büberei und Schabernack auszuarten. Wer stand dafür, daß eine Hand, die Faustschläge gegen Tür und Möbel führte und bübisch das Licht ausdrehte, nicht irgendjemandem an die Gurgel fuhr? Im Finstern rief man nach Zündhölzern, nach einer Taschenlaterne. Die Levi kreischte auf, man habe sie am Stirnhaar gezogen. Vor Angst schämte Frau Stöhr sich nicht, laut zu Gott zu beten. »Ach du Herr, noch diesmal!« schrie sie und wimmerte, es möge Gnade vor Recht ergehen, obgleich man die Hölle versucht habe. Dr. Ting-Fu war es, der den gesunden Gedanken faßte, das Deckenlicht einzuschalten, so daß alsbald das Zimmer in Klarheit lag. Während man feststellte, daß das Nachttischlämpchen in der Tat nicht zufällig ausgegangen, sondern abgedreht worden war, und daß man nur den verborgenerweise geschehenen Handgriff menschlich zu wiederholen brauchte, um es wieder zum Brennen zu bringen, erfuhr Hans Castorp persönlich und in der Stille eine Überraschung, die er als besondere Aufmerksamkeit der hier sich kundgebenden kindischen Dunkelheiten auffassen mochte. Auf seinen Knieen lag ein leichter Gegenstand, das »Souvenir«, das einst seinen Onkel erschreckt hatte, als er es von des Neffen Kommode genommen: das gläserne

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