Der Zauberberg
Vergeistigung ein Mann zu bleiben.«
Da hatte Hans Castorp seine Zurechtweisung. Was gab es darauf zu erwidern? Er schwieg in bedrücktem Grübeln. Herrn Settembrinis Worte taten gefaßt und logisch, und dennoch klangen sie fremd und unnatürlich aus ihm hervor. Seine Gedanken waren nicht seine Gedanken, – wie er ja auch auf den des Zweikampfes gar nicht von selbst verfallen war, sondern ihn nur von dem terroristischen kleinen Naphta übernommen hatte –; sie waren Ausdruck der Umfangenheit durch die allgemeinen inneren Umstände, deren Knecht und Werkzeug Herrn Settembrinis schöner Verstand geworden war. Wie, das Geistige, weil es streng war, sollte unerbittlich zum Tierischen, zum Austrag durch den körperlichen Kampf führen? Hans Castorp lehnte sich auf dagegen, oder er versuchte doch, es zu tun, – um zu seinem Schrecken zu finden, daß er es auch nicht konnte. Sie waren stark auch in ihm, die inneren Umstände, er war nicht der Mann, er auch nicht, sich ihnen zu entwinden. Furchtbar und letztgültig wehte es ihn an aus jener Erinnerungsgegend, wo Wiedemann und Sonnenschein sich in ratlos tierischem Kampfe wälzten, und er begriff mit Grauen, daß am Ende aller Dinge nur das Körperliche blieb, die Nägel, die Zähne. Ja, ja, man mußte sich wohl schlagen, denn so war wenigstens jene Milderung des Urstandes durch ritterliche Regelung zu retten … Hans Castorp bot sich Herrn Settembrini als Sekundanten an.
Das wurde abgelehnt. Nein, es passe nicht, es wolle sich nicht schicken, wurde ihm geantwortet, – zuerst von Herrn Settembrini mit einem Lächeln, das fein und schmerzlich war, dann auch, nach kurzer Überlegung, von Ferge und Wehsal, die ebenfalls ohne besondere Begründung fanden, es gehe nicht an, daß Hans Castorp sich an der Mensur in dieser Eigenschaft beteilige. Als Unparteiischer etwa – denn auch die Anwesenheit {1062} eines solchen gehörte ja zu den vorgeschriebenen ritterlichen Milderungen des Tierischen – möge er auf dem Kampfplatz zugegen sein. Selbst Naphta ließ sich durch den Mund seines Ehrengeschäftsträgers Wehsal in diesem Sinne vernehmen, und Hans Castorp war es zufrieden. Zeuge oder Unparteiischer, auf jeden Fall gewann er die Möglichkeit, Einfluß auf die Festsetzung der Modalitäten zu nehmen, was sich als bitter nötig erwies.
Denn Naphta war ja außer Rand und Band mit seinen Vorschlägen. Er verlangte fünf Schritt Distanz und dreimaligen Kugelwechsel, falls es nötig sein sollte. Diesen Wahnsinn ließ er noch am Abend des Zerwürfnisses durch Wehsal überbringen, der sich völlig zum Mundstück und Vertreter seiner wilden Interessen gemacht hatte und teils im Auftrage, teils gewiß auch nach eigenem Geschmack mit größter Zähigkeit auf solchen Bedingungen bestand. Natürlich fand Settembrini nichts daran auszusetzen, aber Ferge, als Sekundant, und der unparteiische Hans Castorp waren außer sich, und dieser wurde sogar grob mit dem elenden Wehsal. Ob er sich nicht schäme, fragte er, solche wüsten Unannehmlichkeiten auszukramen, wo es sich um ein rein abstraktes Duell handle, dem gar keine Realinjurie zugrunde liege! Pistolen seien schon kraß genug, aber nun diese mörderischen Einzelheiten. Da höre die Ritterlichkeit auf, und ob man sich nicht gleich übers Schnupftuch schießen wolle! Er, Wehsal, solle ja nicht auf sich feuern lassen auf solche Entfernung, darum gehe ihm der Blutdurst wohl so leicht von den Lippen – und so fort. Wehsal zuckte die Achseln, wortlos andeutend, daß eben die radikale Situation vorliege, wodurch er denn die Gegenseite, die dies zu vergessen geneigt war, gewissermaßen entwaffnete. Immerhin gelang es dieser beim Hin und Her des folgenden Tages, vor allem den dreimaligen Kugelwechsel auf einen zurückzuführen, dann aber die Distanzfrage so zu regeln, daß die Kombattanten sich auf {1063} fünfzehn Schritte gegenüberstehen und das Recht haben sollten, fünf Schritte vorzugehen, bevor sie schössen. Aber auch dies wurde nur erreicht gegen die Zusicherung, daß keine Versöhnungsversuche gemacht werden sollten. Übrigens hatte man keine Pistolen.
Herr Albin hatte welche. Außer dem blanken kleinen Revolver, mit dem er die Damen zu ängstigen liebte, besaß er noch ein Zwillingspaar in den Samt eines gemeinsamen Etuis gebetteter Offizierspistolen, die aus Belgien stammten: automatische Brownings mit Griffen aus braunem Holz, in denen sich die Magazine befanden, bläulich stählerner Geschützmaschinerie und blank gedrehten
Weitere Kostenlose Bücher