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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Hans Castorp noch auf Schritt und Tritt zu lernen, obenhin Angeschautes genauer zu bemerken und Neues mit jugendlicher Empfänglichkeit in sich aufzunehmen.
    Jene bauchigen Gefäße mit kurzen Hälsen zum Beispiel, die auf den Gängen vor einzelnen Türen standen und auf die gleich am Abend seiner Ankunft sein Auge gefallen war, enthielten Sauerstoff, – Joachim erklärte es ihm auf Befragen. Reiner Sauerstoff war darin, zu sechs Franken der Ballon, und das bele {163} bende Gas wurde den Sterbenden zum Zweck einer letzten Anfeuerung und Hinhaltung ihrer Kräfte zugeführt, – sie schlürften es durch einen Schlauch. Denn hinter den Türen, vor denen solche Ballons standen, lagen Sterbende oder »moribundi«, wie Hofrat Behrens sagte, als Hans Castorp ihm einmal im ersten Stockwerk begegnete, – der Hofrat kam in weißem Kittel und mit blauen Backen den Korridor entlanggerudert, und sie gingen zusammen die Treppe hinauf.
    »Na, Sie unbeteiligter Zuschauer Sie!« sagte Behrens. »Was machen Sie denn, finden wir Gnade vor Ihren prüfenden Blikken? Ehrt uns, ehrt uns. Ja, unsere Sommersaison, die hats in sich, die ist nicht von schlechten Eltern. Habe es mir auch was kosten lassen, um sie ein bißchen zu poussieren. Aber schade ist es doch, daß Sie den Winter nicht mitmachen wollen bei uns, – Sie wollen ja bloß acht Wochen bleiben, hab ich gehört? Ach, drei? Das ist aber eine Stippvisite, das lohnt ja das Ablegen gar nicht; na, wie Sie meinen. Aber schade ist es doch, daß Sie den Winter nicht mitmachen, denn was so die Hotevoleh ist,« sagte er mit scherzhaft unmöglicher Aussprache, »die internationale Hotevoleh da unten in Platz, die kommt doch nun mal erst im Winter, und die müßten Sie sehen, da täten Sie was für Ihre Bildung. Zum Kugeln, wenn die Kerls so Sprünge machen auf ihren Fußbrettern. Und dann die Damen, herrje, die Damen! Bunt wie die Paradiesvögel, sag ich Ihnen, und mächtig galant … Nun muß ich aber zu meinem Moribundus,« sagte er, »auf siebenundzwanzig hier. Finales Stadium, wissen Sie. Durch die Mitte ab. Fünf Dutzend Fiaskos Oxygen hat er gestern und heute noch ausgekneipt, der Schlemmer. Aber bis Mittag wird er wohl ad penates gehen. Na, lieber Reuter,« sagte er, indem er eintrat, »wie wäre es, wenn wir noch einer den Hals brächen …« Seine Worte verloren sich hinter der Tür, die er zuzog. Aber einen Augenblick hatte Hans Castorp im Hintergrunde des Zimmers auf dem Kissen das wächserne Profil eines {164} jungen Mannes mit dünnem Kinnbart gesehen, der langsam seine sehr großen Augäpfel zur Tür gerollt hatte.
    Es war der erste Moribundus, den Hans Castorp in seinem Leben zu sehen bekam, denn seine Eltern sowohl wie der Großvater waren ja damals gleichsam hinter seinem Rücken gestorben. Wie würdevoll der Kopf des jungen Mannes mit aufwärts geschobenem Kinnbart auf dem Kissen gelegen hatte! Wie bedeutend der Blick seiner übergroßen Augen gewesen war, als er sie langsam zur Tür gedreht hatte! Hans Castorp, noch ganz vertieft in den flüchtigen Anblick, versuchte unwillkürlich, ebenso große, bedeutende und langsame Augen wie der Moribundus zu machen, während er weiter zur Treppe ging, und mit diesen Augen blickte er eine Dame an, die hinter ihm aus einer Tür getreten war und ihn am Treppenkopf überholte. Er erkannte nicht gleich, daß es Madame Chauchat war. Sie lächelte leise über die Augen, die er machte, stützte dann mit der Hand die Flechte an ihrem Hinterkopf und ging vor ihm die Treppe hinunter, geräuschlos, schmiegsam und etwas vorgeschobenen Kopfes.
     
    Bekanntschaften machte er fast keine in diesen ersten Tagen und auch später noch lange nicht. Die Tagesordnung war dem im ganzen nicht günstig; auch war Hans Castorp ja zurückhaltenden Wesens, fühlte sich überdies als Gast und »unbeteiligter Zuschauer« hier oben, wie Hofrat Behrens gesagt hatte, und ließ sich an Joachims Gespräch und Gesellschaft in der Hauptsache gern genügen. Die Krankenschwester auf dem Korridor freilich reckte so lange den Hals nach ihnen, bis Joachim, der ihr schon früher manchmal kleine Plaudereien gewährt hatte, seinen Vetter mit ihr bekannt machte. Das Kneiferband hinter dem Ohr, sprach sie nicht nur geziert, sondern geradezu gequält und machte bei näherer Prüfung den Eindruck, als habe unter der Folter der Langenweile ihr Verstand {165} gelitten. Es war sehr schwer, wieder von ihr loszukommen, da sie vor der Beendigung des Gespräches eine krankhafte

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