Der Zaubercode
solange wir nicht mehr über dich wissen.
Während er sprach, merkte Gala wie sich Gefühle in ihr aufbauten, die sie noch niemals zuvor gespürt hatte. Sie waren eigenartig aufwühlend, begannen in ihrem Magen und stiegen dann nach oben, wo sie unangenehm ihren Brustkorb verengten. Sie spürte, wie das Blut schneller durch ihre Ader rann, sich ihr Gesicht erhitzte und sie schreien und um sich schlagen wollte. Sie fühlte Wut, bemerkte sie, richtige Wut. Sie hasste es, nicht genau das machen zu können, was sie wollte.
»Blaise«, gelang es ihr, durch ihre zusammengepressten Zähne zu sagen, »Ich. Möchte. Hinausgehen.« Ihre Stimme schien mit jedem Wort anzusteigen.
Ihr Temperament schien ihn völlig unerwartet zu treffen. »Gala, das ist zu gefährlich, kannst du das nicht verstehen?«
»Zu gefährlich? Warum?«, fragte sie wütend. »Ich sehe doch menschlich aus, oder etwa nicht? Würde irgendjemand darauf kommen, dass ich es nicht bin?«
Sie konnte sehen, wie er über diesen Punkt nachdachte. »Du hast recht«, sagte er nach einem Moment. »Du siehst völlig menschlich aus. Aber wenn wir zusammen hinausgehen, werden wir eine Menge Aufmerksamkeit auf uns ziehen — zum größten Teil meinetwegen, nicht deinetwegen.«
»Deinetwegen? Warum?« Gala spürte, wie sich ihre Wut abkühlte, da Blaise nicht länger so unzugänglich war.
»Weil ich vor zwei Jahren den Rat der Zauberer verlassen habe«, erklärte er ihr, »und ich seitdem immer ein Außenseiter gewesen bin.«
»Ein Außenseiter? Warum?« Gala hatte gerade erst über den Rat der Zauberer gelesen und die Macht, die von denjenigen ausging, die eine Begabung für Magie besaßen. Blaise schien ein außergewöhnlich guter Zauberer zu sein — das musste er, wenn er so etwas wie sie erschaffen konnte — und es ergab für sie keinen Sinn, dass er ein Außenseiter in einer Welt war, in der diese Fähigkeit so hoch geschätzt wurde.
»Das ist eine lange Geschichte«, erklärte ihr Blaise und sie konnte die Bitterkeit in seiner Stimme hören. »Es reicht zu sagen, dass ich nicht die gleichen Ansichten habe, wie die meisten anderen Ratsmitglieder — und das gleiche traf auch auf meinen Bruder zu.«
»Deinen Bruder?« Sie hatte über Geschwister gelesen und war ganz fasziniert von dem Gedanken, Blaise habe einen.
Er seufzte. »Bist du sicher, du möchtest das hören?«
»Definitiv.« Gala wollte alles über Blaise erfahren. Er interessierte sie mehr als alles andere, auf das sie in ihrer kurzen Existenz bis jetzt gestoßen war.
»Na gut«, sagte er langsam, »erinnerst du dich an das, was ich dir über die Momentaufnahmen erzählt habe?«
Gala nickte. Natürlich erinnerte sie sich daran; soweit sie beurteilen konnte, besaß sie ein perfektes Gedächtnis. Außerdem hatte sie ja auch am Anfang durch die Momentaufnahmen einige Dinge über Blaises Welt erfahren.
»Also, wie ich vorhin erwähnt habe, wurden die Momentaufnahmen vor ein paar Jahren von einem mächtigen Zauberer namens Ganir erfunden. Alle waren ganz hin und weg von dieser neuen Errungenschaft. Eine einzige Momentaufnahme erlaubte es einer Person, vollständig in das Leben eines anderen einzutauchen, das zu fühlen, was diese Person fühlte, zu erfahren, was diese Person erfuhr. Es war außerdem das erste magische Objekt, für dessen Benutzung man nicht den Zaubercode kennen musste. Um ein Erlebnis aufzunehmen, muss man der Momentaufnahmen-Sphäre einfach nur einen kleinen Tropfen Blut zu geben. Ein weiterer Blutstropfen beendet die Aufzeichnung, die dann auf einem speziellen Platz auf der Sphäre in eine Perle verwandelt wird. Diese können von allen benutzt werden, ohne das hierfür eine besondere Ausrüstung benötigt wird. Um eine Momentaufnahme zu erleben, steckt man sie sich einfach nur in den Mund.«
Gala nickte erneut und hörte weiterhin aufmerksam zu. Sie wollte diese Momentaufnahmen noch einmal probieren, sie zum ersten Mal in der physischen Dimension erleben.
»Mein Bruder war damals Ganirs Assistent«, fuhr Blaise fort, »und er war einer der wenigen Zauberer, die ein wenig darüber wissen, wie die Magie dieser Perlen funktioniert. Er sah, wie sie als Lehrmittel genutzt werden könnten, als eine Form, denjenigen Magie zu bringen, die niemals Zugang zur Zauberakademie bekommen würden. Er dachte auch, es sei ein großartiger Weg für die weniger Glücklichen, der Realität ihres täglichen Lebens entfliehen zu können. Eine normale Person könnte erfahren wie es ist, ein Zauberer
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