Der zehnte Richter
linken Arm in einer Schlinge. Nathan ließ den Eisbeutel sinken und warf ihm einen finsteren Blick zu. »Also deshalb hat man mich zwei Stunden eingesperrt?« fragte er DeRosa. »Damit Sie hier unseren Märchenprinzen verhören konnten?«
»Setzen Sie sich.« DeRosa deutete auf den Stuhl neben Ben.
»Ich stehe lieber«, erwiderte Nathan schroff.
»Wie Sie wollen«, sagte DeRosa.
»Wie geht's dir denn?« fragte Ben.
»Wie's mir geht?« wiederholte Nathan sarkastisch. »Mal sehen: Mein Auge ist dick wie eine Melone, mir dröhnt der Schädel, und niemand hat mir irgendwas gesagt. Abgesehen davon geht es mir phantastisch.« »Was war das letzte, das Sie im Hotel gesehen haben?« fragte DeRosa.
»Als letztes hab' ich gesehen, wie ein Dutzend Marshals ins Zimmer platzte. Sie kassierten Ricks Sachen ein, diskutierten lautstark, daß man die Anrufe, die über Ricks Handy gelaufen waren, überprüfen müßte, und erst dann haben sie mich losgemacht -was offensichtlich ihre geringste Sorge war. Dann sind Sie hereingekommen, haben sich vorgestellt und sind wieder verschwunden. Ein Sanitäter hat mich untersucht, mir einen Eisbeutel gegeben und ein paar Aspirin, und bevor ich mich versah, haben zwei Ihrer Möchtegern-Agenten mich hierhergefahren und mich in der Kammer da eingeschlossen.«
»Tut mir leid, daß ich wieder weg mußte«, sagte DeRosa, während er sich Notizen machte. »Und was ist vorher passiert?«
Bevor Nathan antworten konnte, ging die Tür auf und Claremont kam herein. Eine Tasse Kaffee in der Hand, setzte er sich auf einen Stuhl am Fenster. Wutentbrannt starrte Nathan seinen Kidnapper an. »Wer ist das, und was tut er hier, verdammt noch mal?«
»Das ist Michael Burke.« DeRosa deutete auf Claremont. »Er ist ein U.S. Marshai.«
»Sie sind Polizist?« fragte Nathan.
»Ich bin ein Marshai«, korrigierte Burke.
»Sie sind ein Marshai und haben zugelassen, daß Rick uns nach Strich und Faden verprügelt?«
»Tut mir leid«, erwiderte Burke. »Wir mußten warten, bis Rick die Optionen kauft, bevor wir irgend etwas unternehmen konnten.«
»Und was haben Sie unternommen, als Rick den Auftrag durchgegeben hatte?« Nathans Stimme wurde lauter.
»Was dann passiert ist, können Sie mir nicht in die Schuhe schieben. Das war Ihr Fehler. Unsere Leute waren bereit, das Zimmer zu stürmen, aber Lisa ist einfach losgerannt.«
»Ach, und das war mein Fehler?« Nathan lachte. Er ging zu dem leeren Stuhl neben Ben und setzte sich. »Wie zum Teufel hätten wir wissen sollen, daß Ihre Leute in der Nähe waren?«
»Ben und Lisa wußten Bescheid«, sagte Burke.
»Wie bitte?« Nathan sah Ben an.
»Ich schwöre dir, daß ich nichts wußte«, verteidigte sich Ben. »Ich dachte, sie hätten mich aufgegeben.«
»Moment mal«, sagte Nathan. »Vor ein paar Stunden hab' ich noch gedacht, ich müßte sterben! Was geht hier eigentlich vor, verdammt noch mal?«
»Also -« begann Ben.
»Ich will alles hören«, verlangte Nathan. »Von Anfang an.«
»Lassen Sie diesen Ton und halten Sie den Mund«, bellte DeRosa. Nathan drückte seinen Eisbeutel wieder ans Auge, während Ben tief durchatmete und berichtete, wie er DeRosa aufgesucht und warum er später geglaubt hatte, die Marshals hätten ihn hängengelassen.
»Soll das heißen, man hätte Rick schon seit Wochen festnehmen können?« fragte Nathan ungläubig. Er sah DeRosa an. »Warum haben Sie dann so lange gewartet?«
»Wir wollten alle Personen fassen, die mit Rick unter einer Decke steckten«, erklärte DeRosa. »Zum Beispiel seinen Broker und alle anderen, die er bezahlt hat.«
»Und wir wollten Carl Lungen überführen«, fügte Burke hinzu.
Nathan warf ihm einen frostigen Blick zu. Dann sah er Ben an. »Wußtest du, daß er ein Marshai ist?«
»Überhaupt nicht«, sagte Ben. »Deshalb hab' ihm ja eins übergebraten. Erst als er Lisa gerettet hat, wurde mir klar, daß er auf unserer Seite stand.«
»Und was war mit Obers Rauswurf?« fragte Nathan. »Wußte irgend jemand -«
»Wir wußten nicht, daß Rick Ober denunzieren würde«, erwiderte DeRosa.
»Und wenn Ihnen das was hilft«, fügte Burke hinzu, »ich wußte auch nicht, daß Rick Sie alle kidnappen wollte. Er hat das erst in letzter Minute entschieden, als er vermutete, daß Ben sich stellen würde. Schließlich hatten wir damit gerechnet, daß Ben das Urteil erst heute mittag übergeben würde.«
»Die Geiselnahme hat uns wirklich aus dem Tritt gebracht«, gab DeRosa zu. »Wir dachten nicht
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