Der Zeitdieb
freigebe!«
Lobsang verneigte sich verblüfft.
»Und warum besuchst du uns in unserem zeitlosen Tal?«, fragte der Abt.
»Antworte dem Abt!«, sagte Lu-Tze scharf.
»Ich… ich möchte die fünfte Überraschung kennen lernen«, sagte Lobsang.
»… Hochwürden…«, drängte Lu-Tze.
»… Hochwürden…«, fügte Lobsang hinzu.
»Du besuchst uns nur deshalb, um mehr über die Launen eines schlauen Kehrers zu erfahren?«
»Ja, äh, Hochwürden.«
»Trotz der vielen Dinge, mit denen sich die Zeit beschäftigen könnte… Du möchtest den Trick eines alten Mannes sehen? Keks !«
»Ja, Hochwürden.«
Die Mönche starrten Lobsang an. Sein Umhang flatterte noch immer in einem Sturm, der nur für ihn existierte. Die Sterne darauf glitzerten, wenn sie das Licht einfingen.
Der Abt lächelte engelsgleich. »Das möchten wir alle«, sagte er. »Ich glaube, niemand von uns hatte bisher Gelegenheit, die fünfte Überraschung zu sehen. Er hat sein Geheimnis immer für sich behalten. Aber… dies ist das Eiserne Dojo. Hier gelten Regeln! Zwei dürfen es betreten, aber nur einer kann es wieder verlassen! Es ist kein Übungsdojo! Will Elefant ! Verstehst du?«
»Was? Ich wusste nicht…«, begann Lobsang, aber der Kehrer stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen.
»Es heißt ›Ja, Hochwürden‹«, knurrte er.
»Aber es war nicht meine Absicht…«
Diesmal bekam er einen Schlag an den Hinterkopf.
»Jetzt gibt es kein Zurück mehr!«, sagte Lu-Tze. »Dafür ist es zu spät, Wunderknabe!« Er nickte dem Abt zu. »Mein Schüler versteht, Hochwürden.«
»Dein Schüler, Kehrer?«
»O ja, Hochwürden«, bestätigte Lu-Tze. »Mein Schüler. Bis ich etwas anderes sage.«
»Wirklich? Keks ! Nun, dann darf er eintreten. Und du ebenfalls, Lu-Tze.«
»Aber ich wollte doch nur…«, protestierte Lobsang.
»Hinein mit dir!«, donnerte Lu-Tze. »Willst du Schande über mich bringen? Sollen die Leute glauben, ich hätte dich überhaupt nichts gelehrt?«
Das Innere des Dojos erwies sich als dunkle Kuppel voller Spitzen. Sie waren nadeldünn und ragten aus den Wänden.
»Warum sollte man so etwas bauen?«, fragte Lobsang und sah zu den glänzenden Spitzen auf, die sogar aus der Decke ragten.
»Dieser Ort lehrt die Tugenden von List und Disziplin«, sagte Lu-Tze und ließ die Fingerknöchel knacken. »Ungestüm und Geschwindigkeit können für den Angreifer ebenso gefährlich sein wie für den Angegriffenen, wie du vielleicht lernen wirst. Eine Bedingung: Hier sind wir nur Menschen. Einverstanden?«
»Natürlich, Kehrer. Hier sind wir nur Menschen.«
»Und sollen wir uns auch auf dies einigen: keine Tricks?«
»Keine Tricks«, sagte Lobsang. »Aber…«
»Sind wir hier, um zu kämpfen oder um zu reden?«
»Aber, hör mal, wenn nur einer das Dojo verlassen kann… Es bedeutet, dass ich dich töten muss…«
»Oder umgekehrt«, meinte Lu-Tze. »So lautet die Regel. Können wir jetzt anfangen?«
»Aber das wusste ich nicht!«
»Manchmal ist es im Leben wie mit Frühstücks-Zerealien: Man sollte die Hinweise auf der Packung lesen«, sagte Lu-Tze. »Dies ist das Eiserne Dojo, Wunderknabe!«
Er trat zurück und verbeugte sich.
Lobsang zuckte mit den Schultern und verbeugte sich ebenfalls.
Lu-Tze wich noch einige weitere Schritte zurück, schloss kurz die Augen und begann dann mit einigen Lockerungsübungen. Lobsang verzog das Gesicht, als er Gelenke knacken hörte.
Kurz darauf klackte es mehrmals, und erneut dachte Lobsang an die Knochen des Alten. Doch die Geräusche kamen von kleinen Klappen, die sich überall in den gewölbten Wänden öffneten. Flüsternde Stimmen erklangen, als sich Zuschauer zusammendrängten. Es schienen ziemlich viele zu sein.
Er streckte die Hände aus und stieg langsam auf.
»Wollten wir nicht auf Tricks verzichten?«, fragte Lu-Tze.
»Ja, Kehrer«, sagte Lobsang, während er mitten in der Luft schwebte. »Aber dann dachte ich: Vergiss nie Regel Eins.«
»Aha! Bravo. Du lernst!«
Lobsang glitt näher. »Du ahnst nicht, was ich seit unserer letzten Begegnung gesehen habe«, sagte er. »Es gibt keine geeigneten Worte, um es zu beschreiben. Welten, die innerhalb von Welten ruhen, wie die kleinen Puppen, die man in Überwald schnitzt. Ich habe die Musik der Jahre gehört. Ich weiß mehr, als ich jemals verstehen kann. Doch die fünfte Überraschung kenne ich nicht. Ist sie ein Trick, ein Rätsel… eine Prüfung?«
»Alles ist eine Prüfung«, sagte Lu-Tze.
»Dann zeig mir die fünfte
Weitere Kostenlose Bücher