Der Zeitdieb
Gesichtsausdruck sah. »Schon gut, Kehrer, schon gut…«
Unmittelbar darauf wies mehrfaches Klacken darauf hin, dass die notwendigen Verbindungen hergestellt wurden. Lobsang rief weitere Zahlenpaare.
Während die Mönche immer wieder zu den Buttergruben eilten, um Schmiere für die Lager zu holen, beobachtete Lu-Tze die nächste Säule. Sie drehte sich noch immer sehr schnell, aber inzwischen konnte er die Zeichen darin erkennen.
Lobsang blickte auf die Tafel und sah dann zu den grollenden Zylindern und den Klappen.
Darüber stand nirgends etwas geschrieben, wusste Lu-Tze. Man konnte es nicht im Klassenzimmer lehren, obgleich es versucht wurde. Ein guter Dreher lernte es durch die Fußsohlen, trotz all der theoretischen Dinge, von denen er heutzutage hörte. Er lernte, den Fluss zu fühlen, in den vielen Zauderern Brunnen oder Quellen der Zeit zu sehen. Der alte Schoblang hatte sein Handwerk so gut verstanden, dass er zwei Stunden vergeudete Zeit aus einem Klassenzimmer mit gelangweilten Schülern nehmen konnte, ohne dass diese etwas davon merkten, um sie tausend Meilen entfernt einem gut besuchten Seminar hinzuzufügen.
Und dann der Apfeltrick, von dem seine Schüler immer sehr beeindruckt gewesen waren. Er hatte einen Apfel auf eine nahe Säule gelegt und ihm dann mit einer der kleinen Spulen kleine Zeitbrocken gegeben. Das Stück Obst verwandelte sich in einige kleine, spindeldürre Bäume, die dann zu Staub zerfielen. Das wird auch mit euch passieren, wenn ihr etwas verkehrt macht, hatte Schoblang seine Schüler gewarnt.
Lu-Tze blickte auf den grauen Staubhaufen unter dem sich auflösenden Korkhelm hinab, als er daran vorbeieilte. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden…
Das Heulen von gequältem Stein ließ ihn aufblicken.
»Schmiert die Lager, ihr faulen Teufel!«, rief er und hastete die Reihen entlang. »Auf die Schienen achten! Lasst die Finger von den Keilen! Wir kommen ganz gut zurecht!«
Während Lu-Tze lief, behielt er die Säulen im Auge. Sie drehten sich nicht länger ziellos. Ihre Bewegungen hatten jetzt Sinn und Zweck.
»Ich glaube, du schaffst es tatsächlich, Junge!«, rief er der Gestalt auf dem Podium zu.
»Ja, aber ich kann sie nicht ausbalancieren! Es ist zu viel Zeit aufgewickelt, und ich kann sie nirgends unterbringen!«
»Wieviel?«
»Fast vierzig Jahre!«
Lu-Tze sah zu den Klappen. Es schienen tatsächlich vierzig Jahre zu sein, aber…
» Wie viel?«, fragte er.
»Vierzig! Tut mir Leid! Ich finde keine Spule, um sie aufzuwickeln!«
»Kein Problem! Zeit wird gestohlen und verschenkt! Wir können sie später zurückholen, wenn wir sie brauchen! Setz sie frei!«
»Wo?«
»In irgendeinem Meer!« Der Kehrer deutete auf eine grobe, auf die Wand gemalte Karte der Welt. »Weißt du, wie… Kannst du sehen, wie man die Zeit in die gewünschte Richtung lenkt und ihr das richtige Drehmoment gibt?«
Erneut bemerkte Lu-Tze blaues Flackern.
»Ja! Ich glaube schon!«
»Dachte ich mir! Na schön, dann los!«
Lu-Tze schüttelte den Kopf. Vierzig Jahre? Er macht sich Sorgen wegen vierzig Jahren ? Vierzig Jahre waren nichts! Manchmal setzten Dreher-Schüler irgendwo fünfzigtausend Jahre frei. Das Meer eignete sich gut dafür. Es blieb immer groß und nass. Es war immer groß und nass gewesen, und es würde auch in Zukunft groß und nass sein. Vielleicht wunderten sich Fischer, wenn sie in ihren Netzen seltsame haarige Fische fanden, die sie vorher nur als Fossilien gesehen hatten. Aber wer scherte sich schon darum, was mit einigen Dorschen oder so geschah?
Die Geräusche veränderten sich.
»Was machst du?«
»Ich habe Platz bei Nummer 422 gefunden! Sie kann weitere vierzig Jahre aufnehmen! Man sollte keine Zeit vergeuden! Ich wickle sie jetzt auf!«
Wieder gab es eine akustische Veränderung.
»Erledigt! Ja, ich bin sicher, die Zeit ist an der richtigen Stelle aufgewickelt!«
Einige der größeren Säulen hielten bereits an. Lobsang bewegte die Stifte auf der Tafel jetzt so schnell, dass der verwunderte Lu-Tze keine Einzelheiten mehr erkennen konnte. An den Gestellen schlossen sich die Klappen, eine nach der anderen. Sie zeigten keine Farben mehr, sondern nur noch altes, schwarzes Holz.
Niemand konnte so präzise sein, oder?
»Du bist jetzt bei Monaten angelangt, Junge, bei Monaten!«, rief er. »Weiter so! Nein, meine Güte, jetzt sind es Tage… Tage ! Behalt mich im Auge!«
Der Kehrer lief zum Ende des Saals, wo kleinere
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