Der Zeitdieb
Aufseher?«
Lobsang deutete zum Rand eines Holzpodiums an der Höhlenwand.
Ein verrottender Korkhelm und ein Paar uralte Sandalen lagen dort. Dazwischen war grauer Staub verteilt.
»Armer Bursche«, sagte Lu-Tze. »Scheint auf einen Schlag fünfzigtausend Jahre abbekommen zu haben.« Er sah wieder zu den hin und her eilenden Mönchen. »Hört mit dem Unfug auf und kommt hierher! Ich werde nicht zweimal darum bitten!«
Einige von ihnen wischten sich Schweiß aus den Augen und liefen zum Podium, froh darüber, irgendeine Art von Anweisung zu hören. Hinter ihnen heulten die Zauderer.
»In Ordnung!«, sagte Lu-Tze, als immer mehr Mönche zum Podium kamen. »Jetzt hört mir zu! Dies ist nur eine Schwallkaskade! Ihr habt davon gehört! Wir können damit fertig werden! Wir müssen Querverbindungen zwischen den Zukünften und Vergangenheiten herstellen, und zwar bei den schnellsten zuerst…«
»Der arme Herr Schoblang hat das schon versucht«, erwiderte ein Mönch und nickte in Richtung der traurigen Reste.
»Wir bilden jetzt zwei Gruppen…« Lu-Tze zögerte. »Nein, dazu reicht die Zeit nicht! Wir lassen uns von unseren Fußsohlen leiten, so wie früher! Ein Mann zum Dreher – gib den Stangen einen Stoß, wenn ich es sage! Die anderen halten sich bereit und reagieren sofort, wenn ich ihnen die Zahlen zurufe!«
Lu-Tze kletterte aufs Podium und blickte auf die Tafel mit den hölzernen Spulen. Über ihnen schwebte entweder ein roter oder ein blauer Nimbus.
»Welch ein Durcheinander«, sagte er. »Welch ein Durcheinander .«
»Was bedeutet das?«, fragte Lobsang.
Lu-Tzes Hände verharrten über den Spulen. »Na schön. Die roten wickeln Zeit ab und beschleunigen sie«, erklärte er. »Die blauen wickeln Zeit auf und lassen sie langsamer vergehen. Die Helligkeit der Farbe zeigt an, wie schnell der Vorgang abläuft. Aber jetzt drehen sie sich alle frei, denn der Schwall hat sie gelöst, verstehst du?«
»Gelöst? Wovon?«
»Von der Last. Von der Welt. Siehst du dort oben?« Lu-Tze deutete auf zwei lange Gestelle, die sich an der Höhlenwand entlang erstreckten; jedes von ihnen enthielt zahllose Klappen. Die eine Reihe war blau, die andere dunkelrot.
»Je mehr Klappen von einer Farbe, um so schneller wird die Zeit auf- und abgewickelt?«
»Ja, ausgezeichnet! Das Gleichgewicht muss gewahrt bleiben! Wir müssen die Spulen paarweise anordnen, so dass sie sich gegenseitig auf- und abwickeln. Dadurch neutralisieren sie sich. Ich schätze, der arme alte Schoblang hat versucht, sie wieder in Betrieb zu nehmen, aber während einer Kaskade ist das unmöglich. Man muss alles umstürzen lassen und anschließend, wenn wieder Ruhe herrscht, die einzelnen Teile aufsammeln.« Lu-Tze sah noch einmal auf die Spulen und blickte dann zu den Mönchen. »Also gut. Du… 128 und 17, und dann 45 und 89. Los mit dir. Und du… 596 und, mal sehen… ja… 402…«
»Siebenhundertneunzig!«, rief Lobsang und zeigte auf eine Spule.
»Was?«
»Siebenhundertneunzig!«
»Sei nicht dumm. Die wickelt noch immer auf, Junge. Vierhundertzwei ist richtig, hier.«
»Siebenhundertneunzig wird gleich damit beginnen, Zeit abzuwickeln!«
»Die Spule ist hellblau!«
»Sie wird Zeit abwickeln. Ich weiß es. Weil…« Der Finger des Novizen strich über die Spulen, zögerte und deutete dann auf eine Spule auf der anderen Seite der Tafel. »… sie passt ihre Geschwindigkeit dieser an.«
Lu-Tze sah genauer hin. »Es steht geschrieben ›Nun, ich gehe zum unteren Ende der Treppe‹«, sagte er. »Hier bildet sich eine natürliche Inversion.« Er musterte Lobsang. »Du bist nicht zufällig die Reinkarnation von jemandem? So was geschieht hier recht oft.«
»Nein, ich glaube nicht. Es ist einfach nur… offensichtlich.«
»Eben hast du noch gar nichts von diesen Dingen gewusst!«
»Ja, ja, aber wenn man sie sieht… Dann ist es offensichtlich.«
»Tatsächlich? Tatsächlich ? Dann gehört die Tafel dir, Junge!« Lu-Tze trat zurück.
»Sie gehört mir? Aber ich…«
»Also schön, an die Arbeit! Das ist ein Befehl .«
Für einen Augenblick blitzte um Lobsang die Andeutung von blauem Licht auf. Lu-Tze fragte sich, wie viel Zeit er um sich gefaltet hatte. Bestimmt genug, um nachzudenken.
Dann nannte der Junge sechs Zahlenpaare. Lu-Tze wandte sich an die Mönche.
»Lauft los! Herr Lobsang hat die Tafel! Kümmert ihr euch um die Lager!«
»Aber er ist ein Novize…«, begann einer der Mönche. Er unterbrach sich und wich zurück, als er Lu-Tzes
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