Der Zeitdieb
Weg
standen.
»Wie viel Zeit braucht Stein?«, fragte Wen. »Oder das tiefe Meer?
Wir nehmen einen Teil davon…« Er hob die linke Hand über den
rotierenden Zylinder. »… und lenken sie dorthin, wo sie gebraucht
wird.«
Er sah auf den Kirschkern hinab, und seine Lippen bewegten sich
stumm, als versuchte er, ein kompliziertes Rätsel zu lösen. Dann
deutete er mit der rechten Hand auf den Stein.
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»Tritt zurück«, sagte er und berührte vorsichtig den Zylinder.
Die Luft wich mit einem dumpfen Knacken beiseite, und der feuchte
Boden zischte.
Wen sah zu dem neuen Baum auf und lächelte. »Ich habe dich aufgefordert, zurückzuweichen«, sagte er.
»Äh, ich klettere jetzt herunter, in Ordnung?«, erklang eine Stimme
zwischen den Blüten tragenden Zweigen.
»Aber sei vorsichtig«, mahnte Wen und seufzte, als Tolpatsch in
einem Regen aus Blütenblättern zu Boden fiel.
»Hier wird es immer Kirschbaumblüten geben«, sagte er.
Lu-Tze hob den Saum seiner Kutte und eilte über den Pfad. Lobsang lief hinter ihm her. Ein fast schrilles Summen schien aus dem Gestein zu
kommen. Der Kehrer rutschte am Karpfenteich vorbei, in dem sich jetzt sonderbare Wellen formten, hastete dann über einen schattigen Weg, der am Ufer eines Baches entlangführte. Rote Ibisse stiegen auf…
Plötzlich verharrte Lu-Tze und warf sich flach auf die Steinplatten.
»Leg dich hin, schnell!«
Lobsang lag bereits und hörte, wie etwas mit einem Rauschen über ihn hinwegraste. Er sah zurück und beobachtete, wie der letzte Ibis von
einem Schein aus blauem Licht umgeben fiel und Federn verlor. Er
kreischte noch einmal und verschwand dann mit einem Knall.
Nun, er verschwand nicht ganz. Ein Ei fiel dort, wo eben noch der Ibis gefallen war, und zerbrach auf den Steinen.
»Ziellose Zeit!«, rief Lu-Tze. »Komm weiter!« Er sprang auf, eilte zu einem verzierten Gitter in der Felswand vor ihnen und offenbarte
erstaunlich viel Kraft, als er es aus der Einfassung löste.
»Es ist recht tief, aber dir passiert nichts, wenn du dich bei der
Landung abrollst.« Er schob sich durch die Öffnung.
»Wohin geht es dort?«
»Zu den Zauderern natürlich!«
»Aber es ist Novizen bei Todesstrafe verboten, diesen Ort
aufzusuchen!«
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»Na, so ein Zufall«, sagte Lu-Tze und sank langsam nach unten, bis nur noch seine Fingerspitzen zu sehen waren. »Dich erwartet auch der Tod, wenn du dort draußen bleibst.«
Er ließ sich in die Dunkelheit fallen. Ein oder zwei Sekunden später erklang von unten ein Fluch, dem es an Erleuchtung mangelte.
Lobsang kletterte in die Öffnung, sank langsam nach unten, bis er nur noch an den Fingern hing, fiel und rollte sich bei der Landung ab.
»Bravo«, sagte Lu-Tze in der Finsternis. »Im Zweifelsfall sollte man sich für das Leben entscheiden. Hier entlang.«
Der Tunnel führte zu einem breiten Korridor. Ohrenbetäubender
Lärm schlug ihnen entgegen. Etwas Mechanisches litt.
Es knirschte, und wenige Augenblicke später ertönte ein
Stimmengewirr.
Mehrere Dutzend Mönche – sie trugen nicht nur die traditionellen
Kutten, sondern auch Korkhüte – liefen um die Ecke. Die meisten von
ihnen schrien. Einige Klügere schwiegen und nutzten den gesparten
Atem, um noch schneller zu laufen. Lu-Tze hielt einen von ihnen fest, und der betreffende Mönch versuchte sofort, sich zu befreien.
»Lass mich los!«
»Was geht hier vor?«
»Wir müssen fort, bevor sie alle außer Kontrolle geraten!«
Der Mönch riss sich los und sprintete hinter den anderen her.
Lu-Tze bückte sich, hob den zu Boden gefallenen Korkhelm auf und
reichte ihn Lobsang.
»Gesundheit und Schutz bei der Arbeit«, sagte er. »Sehr wichtig.«
»Schützt mich der Helm?«, fragte Lobsang und setzte ihn auf.
»Eigentlich nicht. Aber wenn man deinen Kopf findet, erkennt man
dich vielleicht wieder. Wenn wir im Saal sind… Rühr dort nichts an.«
Lobsang hatte sich eine Art Prachtgewölbe vorgestellt. Man sprach so über den Zauderersaal, als wäre es eine riesige Kathedrale. Doch am
Ende des Korridors schien es zunächst nichts weiter zu geben als blauen Dunst. Erst als sich Lobsangs Augen an die wogende Düsternis gewöhnt hatten, sah er den nächsten Zylinder.
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Vor ihm ragte eine gedrungen wirkende Steinsäule auf, mit einem
Durchmesser von drei Metern und einer Höhe von sechs Metern. Sie
drehte sich so schnell, dass ihre Konturen verschwammen. Kleine
silberblaue Blitze flackerten in der Luft um sie
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