Der Zeitdieb
zunächst einmal nach einem Buch mit dem Titel Wie man eine interessante Person wird Ausschau hielten und dann herauszufinden versuchten, ob es entsprechende Kurse gab. Es erstaunte ihn immer wieder, dass man ihn für einen langweiligen Gesprächspartner hielt. Immerhin konnte er über alle Arten von Uhren sprechen. Mechanische Uhren, magische Uhren, Wasseruhren, Feueruhren, Blumenuhren, Kerzenuhren, Sanduhren,
Kuckucksuhren, die seltenen herschebianischen Käferuhren… Aber aus
irgendeinem Grund verlor er immer seine Zuhörer, bevor ihm die Uhren ausgingen.
Er trat in den Laden und blieb abrupt stehen.
»Oh… bitte entschuldige, dass du warten musstest«, sagte er. Es war
eine Frau. Begleitet wurde sie von zwei Trollen, die neben der Tür Aufstellung bezogen. Ihre dunklen Brillen und die großen, schlecht
sitzenden schwarzen Anzüge gaben sie als Leute zu erkennen, die
ziemlich unsanft mit anderen Leuten umgehen konnten. Einer von ihnen ließ die Fingerknöchel knacken, als er Jeremys Blick bemerkte.
Die Frau trug einen geradezu riesigen und sehr teuren weißen
Pelzmantel, was vielleicht die Trolle erklärte. Langes schwarzes Haar fiel über ihre Schultern, und das Gesicht war so blass, dass es fast an die Farbe des Pelzes herankam. Sie war… recht attraktiv, fand Jeremy, der sich mit solchen Dingen zugegebenermaßen nicht besonders gut
auskannte. Aber es war eine monochromatische Schönheit. War sie
vielleicht eine Zombie? Inzwischen gab es ziemlich viele in der Stadt, und die Klugen unter ihnen hatten Vorsorge getroffen, bevor sie starben
– vermutlich konnten sie sich solch einen Mantel leisten.
»Eine Käfer uhr?«, fragte die Frau und wandte sich halb von der gläsernen Kuppel ab.
»Oh, äh, ja… der herschebianische Anwaltskäfer hat eine sehr
beständige tägliche Routine«, sagte Jeremy. »Ich, äh, habe sie nur aus Interesse…«
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»Wie… organisch«, kommentierte die Frau und streckte die Hand aus
– sie steckte in einem schwarzen Handschuh, und die Innenfläche wies nach unten. »Wir sind Myria LeJean. Lady Myria LeJean.«
Jeremy streckte gehorsam die eigene Hand aus. Geduldige Männer bei
der Uhrmachergilde hatten viel Zeit damit verbracht, ihm richtiges
Benehmen anderen Leuten gegenüber beizubringen, bevor sie
verzweifelt aufgegeben hatten. Aber das eine oder andere war hängen
geblieben.
Ihre Ladyschaft blickte auf die wartende Hand hinab. Schließlich
wankte ein Troll näher.
»Die Lady keine Hände schüttelt«, verkündete er mit einem
widerhallenden Flüstern. »Die Lady keine taktile Person ist.«
»Oh?«, erwiderte Jeremy.
»Genug davon«, sagte Lady LeJean und trat einen Schritt zurück. »Du
stellst Uhren her, und wir…«
Ein Klimpern drang aus Jeremys Hemdtasche. Er zog eine große Uhr
daraus hervor.
»Wenn das ein Zeichen für die volle Stunde war, so geht die Uhr vor«, meinte die Frau.
»Äh… ähm… nein. Vielleicht wäre es besser, wenn du dir jetzt die
Ohren zuhältst.«
Es war drei Uhr. Und alle Uhren schlugen gleichzeitig. Kuckucksuhren machten »Kuckuh«. Die Stundennadeln fielen aus der Kerzenuhr. Die
Wasseruhren gurgelten und wippten hin und her, als sich die Eimer
leerten. Glocken läuteten. Gongs dröhnten. Der herschebianische
Anwaltskäfer machte einen Salto.
Die Trolle pressten sich große Hände an die Ohren, aber Lady LeJean
stützte ihre Hände auf die Hüften, neigte den Kopf ein wenig zur Seite und wartete, bis das letzte Echo verklungen war.
»Sie gehen alle genau, wie wir feststellen«, sagte sie.
»Was?«, fragte Jeremy und dachte: Ist sie vielleicht ein Vampir?
»Du sorgst dafür, dass alle Uhren genau gehen«, sagte Lady LeJean.
»Du legst großen Wert darauf, nicht wahr, Herr Jeremy?«
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»Eine Uhr, die nicht die richtige Zeit anzeigt, ist… falsch«, sagte
Jeremy. Inzwischen wünschte er sich, dass die Frau ging. Ihre Augen
beunruhigten ihn. Er hatte von Leuten mit grauen Augen gehört, und
ihre Augen waren grau, wie die eines Blinden. Aber sie sah ihn ganz offensichtlich; ihr Blick schien sogar in sein Inneres zu reichen.
»Ja, deshalb gab es ein wenig Ärger, oder?«, erkundigte sich Lady
LeJean.
»Ich… weiß nicht… wovon du redest…«
»Bei der Uhrmachergilde? Williamsohn, dessen Uhr fünf Minuten
vorging? Und du…«
»Es geht mir jetzt viel besser«, sagte Jeremy steif. »Ich nehme Medizin.
Die Gilde war sehr freundlich. Bitte geh.«
»Wir möchten, dass du eine Uhr für uns
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