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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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wäre sie überhaupt nicht möglich. Es gäbe keine Zeit, in der sie existieren könnte.«
    Jeremy steckte plötzlich voller Liebe. Er entsann sich, dass er nur
    einmal auf diese Weise empfunden hatte: als er im Alter von vierzehn Monaten die Rückseite der Kinderzimmeruhr geöffnet hatte.
    »Du meinst das… berühmte ›Ticken des Universums‹«, sagte er. »So
    kleine Zahnräder lassen sich nicht herstellen…«
    »Kommt darauf an, was man unter Zahnrädern versteht. Hast du dies
    gelesen?«
    Lady LeJean winkte einem der beiden Trolle zu. Der setzte sich sofort 23

    in Bewegung und legte ein rechteckiges Paket auf den Tresen.
    Jeremy öffnete es und fand darin ein kleines Buch. » Grimmige Märchen ?«, fragte er.
    »Lies die Geschichte über die gläserne Uhr von Bad Schüschein«, sagte Lady LeJean.
    »Märchen für Kinder?«, brachte Jeremy hervor. »Was können sie mir
    mitteilen?«
    »Wer weiß?«, erwiderte Lady LeJean. »Morgen kehren wir zurück, um
    von deinen Plänen zu erfahren. Bis dahin… Hier ist ein kleines Zeichen unseres guten Glaubens.«
    Der Troll legte einen recht großen Lederbeutel auf den Tresen, und
    darin erklang das volle, satte Klimpern von Gold. Jeremy achtete kaum darauf. Er hatte ziemlich viel Gold. Selbst geschickte Uhrmacher kauften seine Uhren. Gold war nützlich, denn es gab ihm Zeit, an mehr Uhren
    zu arbeiten. Die ihm ihrerseits mehr Gold einbrachten. Gold stellte mehr oder weniger etwas dar, das den Platz zwischen Uhren einnahm.
    »Ich kann dir auch Invar besorgen, in großen Mengen«, sagte Lady
    LeJean. »Das ist Teil deines Lohns, obwohl ich dir zustimmen muss:
    Nicht einmal Invar dient deinem Zweck. Nun, Herr Jeremy, wir beide
    wissen, was die eigentliche Bezahlung ist – die Möglichkeit, die erste wirklich genaue Uhr zu konstruieren.«
    Jeremy lächelte nervös. »Es wäre… wundervoll, wenn sich so etwas
    bewerkstelligen ließe«, sagte er. »Es wäre… das Ende der Uhrmacherei.«
    »Ja«, bestätigte Lady LeJean. »Niemand müsste jemals wieder eine Uhr bauen.«

    Tick

    Dieser Schreibtisch ist aufgeräumt.
    Darauf liegt ein Stapel Bücher. Und ein Lineal.
    Derzeit auch eine Uhr aus Pappe.
    Fräulein Susanne griff danach.
    Die anderen Lehrerinnen an der Schule hießen Stefanie und Joan und
    24

    so weiter, aber für ihre Klasse war Susanne strikt Fräulein. Das Wort
    »strikt« beschrieb sie sehr gut. Im Klassenzimmer bestand Susanne
    darauf, mit »Fräulein« angesprochen zu werden, wie ein König auf der Anrede »Euer Majestät« besteht, und zwar aus dem gleichen Grund.
    Fräulein Susanne trug Schwarz, wovon die Rektorin nichts hielt. Aber sie konnte keine Einwände dagegen erheben, denn schließlich war
    Schwarz eine respektable Farbe. Susanne war jung, aber etwas an ihr
    strahlte Alter aus. Ihr blondes, fast weißes Haar mit der einen dunklen Strähne trug sie in einem Knoten. Auch davon hielt die Rektorin nichts –
    es vermittelte ein archaisches Lehrerbild, meinte sie mit dem verbalen Nachdruck einer Person, die in Kursiv sprechen kann. Sie wagte es nie, Kritik an der Art und Weise zu üben, in der sich Fräulein Susanne
    bewegte, denn Fräulein Susanne bewegte sich wie ein Tiger.
    Es fiel immer schwer, Fräulein Susanne in ihrer Gegenwart zu
    kritisieren, denn dann riskierte man einen Blick von ihr. Der Blick war nicht etwa drohend, sondern kühl und ruhig. Aber man wollte ihn nie
    wieder sehen.
    Der Blick funktionierte auch im Klassenzimmer. Zum Beispiel bei den
    Hausaufgaben, einer weiteren archaischen Praxis, welche die Rektorin vergeblich missbilligte. Bei den Schülern von Fräulein Susanne geschah es nie, dass der Hund die Schularbeiten fraß, denn ein Teil von Fräulein Susanne begleitete sie nach Hause. In ihrem Fall brachte der Hund den Stift und sah flehentlich zu, während sie die Hausaufgaben erledigten.
    Fräulein Susanne schien auch einen besonderen Instinkt zu haben, der sie in die Lage versetzte, Faulheit und Mühe zu erkennen. Entgegen den Anweisungen der Rektorin ließ sie die Kinder nicht das machen, was
    ihnen gefiel. Stattdessen machten sie, was ihr gefiel. Es war für alle viel interessanter, wie sich herausgestellt hatte.
    Fräulein Susanne hob die Pappuhr und fragte: »Wer kann mir sagen,
    was dies ist?«
    Ein Wald aus Händen kam nach oben.
    »Ja, Miranda?«
    »Das ist eine Uhr, Fräulein.«
    Fräulein Susanne lächelte und übersah ganz bewusst die Hand eines
    25

    Jungen, der Vincent hieß und mit Geräuschen, die nach »uh, uh,

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