Der Zeitläufer
nicht gesehen. Das Nebelkind sammelte einige davon und aß sie. Es stopfte Nahrung in einen lippenlosen Mund, der wie ein Saum durch ein leeres Gesicht lief, und dabei behielt es immer die nebeligen Ränder der Lichtung im Auge, als fürchte es einen Angriff. Dieses Mißtrauen war ansteckend, denn auch Alex spähte herum, ohne jedoch zu wissen, wonach er Ausschau hielt. Es traf ihn jedoch gänzlich unvorbereitet, als sich plötzlich ein anderes Mann-Ding aus einem Baum auf das essende Wesen stürzte. Einem Impuls folgend, warf sich Alex zwischen den Verfolger und seine Beute. Knurrend und fauchend zog sich der Angreifer zurück, rannte den Bäumen entgegen, wirbelte herum und hatte etwas Glitzerndes in der Faust. Alex blieb keine andere Wahl, als die Arme hochzuwerfen und aus vollem Hals zu brüllen. Der Verfolger verschwand in die geheimnisvolle Sicherheit des Nebels.
Die von ihm beschützte Kreatur hatte sich hinter ihm zusammengekauert und den Kopf in den Armen begraben. Das Nebelkind zitterte wie ein Hund, der Schläge erwartet. Alex bückte sich und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Rücken. Es kreischte – vor Angst oder Schmerz? – und floß platt auf den Boden, als zerschmelze es. Was sollte er nun tun? Er wußte, der Verfolger lauerte noch, wenn er ihn auch nicht sah. Das Nebelding lag schlaff zu seinen Füßen wie eine Stoffpuppe, der die Sägespäne ausgelaufen waren.
Allmählich kräftigte es sich jedoch wieder und kam zu Bewußtsein. Die Körperhaut spannte sich. Das Wesen floß in die Höhe, spähte in den Nebel und schüttelte sich. Alex hätte das Nebelkind nun gerne verlassen, aber als er seinen Spuren folgte, hielt es sich hinter ihm, als fühle es sich so sicherer. Als er die Kuppel erreichte, stellte es sich zwischen ihn und die Luke, so daß er die Hütte nicht betreten konnte. Es bewegte sich erst dann, als er die Hand ausstreckte, um es so weit zur Seite zu schieben, daß er die Tür öffnen konnte. Da wimmerte es und machte ihm Platz. In dem Augenblick jedoch, als er die Kuppel betreten wollte, warf sich der Angreifer, der ihnen im Schutz des Nebels gefolgt war, auf sie. Das Nebelkind tat einen Satz hinein, kauerte sich zusammen und stöhnte in panischer Angst. Alex knallte die Tür zu und verriegelte sie. Dann legte er automatisch die Hand auf den Hebel, der Fungizid versprühen ließ. Es schäumte, als es ihre Körper traf, und da benahm sich das Nebelkind nun wie wahnsinnig. Alex mußte es festhalten, um es vor Verletzungen zu bewahren.
Aber nun wandte sich das Wesen gegen ihn. Es warf handähnliche Pfoten in die Höhe, aus denen Tentakelfinger schossen, und in deren Mitte blitzte wie eine häßliche Blume ein langer scharfer Zahn, nadelspitz und an den Kanten mit Sägezähnen versehen, ein gefährliches Ding. So standen sie einander wie erstarrt gegenüber; das Auge des Menschen und das des Deirdraners ließen einander nicht los. Dann hörte der Sprühregen des Fungizids auf, und das war wie ein Signal. Beide entspannten sich sichtlich. Alex seufzte erleichtert; das Ding war schlüpfrig wie ein frisch gefangener Fisch und dabei stark wie ein Oktopus. Hätte er geahnt, welche Waffe dieses Ding besaß, hätte er es niemals angerührt.
Er streifte seinen Anzug ab und hängte ihn am Haken auf. Das Nebelkind drückte sich an die Wand und sah ihm eher neugierig als furchtsam zu. Entweder war es intelligenter als er vermutet hatte, oder er war zu merkwürdig und fremdartig, um gefürchtet zu werden.
Jedenfalls war das Wesen desinfiziert, und jetzt konnte er es nicht einfach hinausjagen, denn er hätte dann wieder die Tür öffnen müssen. Also öffnete er die innere Schleusentür und ging seiner Arbeit nach, zeichnete die Ereignisse des Tages auf, bereitete sein Essen und verzehrte es.
Immer war er sich dabei der Anwesenheit des Nebelkinds bewußt. Fast transparent schwebte es wie Elektroplasma an der Wand entlang, berührte das, was es ansah, kaum und hatte den lippenlosen Mund halb offen, als es die Gerüche und den Geschmack der unbekannten Atmosphäre mit ihren neuen, stechenden Düften aufnahm. Als Alex gegessen hatte, legte er einen Film in sein Gerät und lehnte sich zurück, um ihn anzusehen, eigentlich jedoch eher deshalb, weil er die Reaktionen des Wesens beobachten wollte. Die Geräusche und die sich bewegenden Schatten auf dem Schirm sagten ihm nichts, das war klar; aber es ringelte sich auf dem Boden zu seinen Füßen zusammen, schaute vom Gerät in sein Gesicht und
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