Der Zeitläufer
Spukhaftigkeit Deirdres ab, um die Rückkehr der Magus wenigstens ohne Furcht abzuwarten.
Warum kam sie so lange nicht? Man konnte ihn doch nicht vergessen haben! Zur chronometrischen Mittagszeit schickte er täglich sein Funksignal aus: Ich lebe und bin gesund. Die Bestätigung kam vom Computer, das wußte er, aber jemand mußte dem Computer ja den Befehl zur Empfangsbestätigung geben, ein Mensch. Meldete er sich nicht, oder schickte er ein Notsignal aus, dann würde man es bemerken und zurückkehren – außer es war etwas Ungewöhnliches geschehen. Die gesamte Schiffsmannschaft konnte tot und das Schiff eine leere Hülle sein, ein ewig herumrasendes Wrack; oder man hatte nie vorgehabt, ihn wieder abzuholen. Vorräte hatte er für zehn Mann hier. Warum hatte man ihm soviel dagelassen? Er wußte, das tat man immer, aber trotzdem ... Man hatte ihm gesagt, es dauerte zehn bis vierzehn Tage, und den Instrumenten nach waren es jetzt zehn Tage. Aber keine Magus war zu sehen, kein Wort kam von ihr.
Sie konnten ihn doch hier nicht einfach aussetzen. Er glaubte auch nicht daran. Aber immer war er, wenn er sein Funksignal abgab, versucht, einen Notruf auszusenden, damit sie sich beeilten. Die Strafe für einen nicht gerechtfertigten Notruf war allerdings sehr hoch, und man riskierte lieber nichts.
Trotzdem, es dauerte zu lange. Als das Schiff keine Empfangsbestätigung für sein tägliches Signal zurücksandte, war er gar nicht erstaunt. Er hatte es in den Knochen gefühlt, daß es so kommen würde. Trotzdem tippte er immer seinen Ruf, wiederholte seinen Kodefunkspruch mit sturer Regelmäßigkeit und Ausdauer. Doch keine Antwort kam. Seine Angst war nun bestätigt, und er fühlte darüber eine wahnwitzige Befriedigung. Irgendwie hatte er geahnt, daß er zu dieser Nebelhölle der Einsamkeit und Ungewißheit verdammt war. Er war aus dem Leben hinausgefallen, abgeschoben ins Nirgendwo, belastet mit den Flüchen der Verbrechen vergangener Zeiten ... Welcher Verbrechen? Welche Untaten rechtfertigten eine solche harte Strafe? Er dachte zurück und fand viele kleine Bosheiten. Unterlassungssünden eher als absichtliche Taten; Menschen, die er aus Unwissen oder Unachtsamkeit gekränkt hatte; Aufgaben, die von ihm unachtsam erfüllt worden waren; Verantwortungen, die er auf die leichte Schulter genommen hatte – eine endlose Liste unbedeutender Versäumnisse. In seiner grauen, spukhaften Welt stellte ihn sein Gewissen zur Rede, und ein Entrinnen gab es nicht. So nackt und allein konnte er sich selbst nicht gegenübertreten.
Im hintersten Winkel seines Bewußtseins erklärte ihm seine Vernunft, daß man ihn nicht ewig hierlassen würde. Früher oder später würde ein anderes Schiff kommen, egal was der Magus auch zugestoßen sein mochte. Das wußte er, doch daran glauben? Nun, die Zeit würde kommen, da es sich herausstellte, ob sich seine Befürchtungen oder seine Hoffnungen bewahrheiteten, aber auf Deirdre gab es keine Zeit. Nichts ging je zu Ende. Er war in einer ewigen Gegenwart gefangen. Sein Chronometer log, und nicht ein Tag war vergangen, seit die Magus abgehoben hatte.
Doch, ein Schiff mußte kommen. Es würde sich aus dem Nebel heraus materialisieren, Menschen stiegen aus der Luke und kamen die Leiter herab, um den Funkstrahl daraufhin zu untersuchen, wie lange er seinen klagenden Schrei schon in den leeren Raum gesendet hatte. Wo würde dann aber er sein? Was würde er sein? Würden sie dann wissen, daß man einen Mann hier sich ganz allein selbst überlassen hatte?
Er versiegelte seine Logbücher, die er bisher gewissenhaft geführt hatte, und trug sie zum Funkleitstrahl. Der Foolfinder würde sich mit der Zeit – Zeit? – auflösen. Der Kompaß war hier nutzlos, trotzdem versuchte er damit zu arbeiten, um dem Suchkommando einen Fingerzeig zu geben, wo sie ihn finden konnten. Aus Ersatzteilen bastelte er einen kleinen Leitstrahl, der ihn zu seiner Kuppel führen konnte und schloß ihn am Energiepack seines Anzugs an. Dann konnte er nichts mehr tun als um ein bißchen Vernunft zu kämpfen, damit sie ihm erhalten bliebe. Er fühlte, wie sein Geist sich allmählich davonmachte, als sickere er aus ihm heraus.
Er ließ Filme und Tonbänder mit größter Lautstärke laufen, um die Bewußtheit Deirdres auszuschließen; oder – besser gesagt – die Erkenntnis dessen, daß nichts da war, daß er sich aus dem Nichts und der Leere ausschloß, sich dafür in sich selbst zurückzog, bis sich seine Seele zusammenzog, zum
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