Der zeitlose Winter
Freundlichkeit ihres Mannes hätte er sie gern kennen gelernt, doch am Horizont wurde es bereits dunkel, und Kapitän Pickering würde wahrscheinlich vor Mitternacht ablegen wollen.
Fischmehl drückte seine Trophäen fester an die Brust und eilte die Straße hinunter in die Nacht.
An Bord der Milchkanne drehte Fisch eine schnelle Runde, um festzustellen, ob er irgendwo gebraucht wurde, und zog sich dann in sein privates Reich zurück. Ein etwas größeres Schott im zweiten Stock unter der Hauptkabine wurde von Fisch als seine ›Bibliothek‹ bezeichnet. In Wirklichkeit war dies der Lagerspind für die Reinigungsmittelvorräte des Schiffes. Pickering ließ ihm freie Hand, und so konnte er selbst entscheiden, was er benötigte, um das Schiff leidlich sauber zu halten. Eine schnelle Schätzung hatte ergeben, dass der Einsatz von Muskelkraft an Stelle von Seifen und Pulvern ihm zusätzliche vier Quadratmeter Platz in dem Raum verschaffen würde, der ihm zugleich auch als Wohnraum diente. Da diese Entscheidung dem Kapitän außerdem Geld sparte, hatte dieser nichts gegen sie einzuwenden.
Damit verfügte Fischmehl über das wohl zweitgrößte Quartier an Bord, und außerdem hatte er hier sein Ruhe. Entlang einer Wand hatte er provisorische Kästen für Bücher und Zeitungen aufgebaut und an die anderen drei Wände mehrere Landkarten geklebt. Darüber hinaus besaß er ein Feldbett, eine Decke und eine Leselampe. Nun hatte er außerdem etwas, das nach verdammt guten belegten Broten roch. Es war, dachte er, kein schlechtes Leben.
Er stellte den Korb auf das Feldbett und zog vier großzügig belegte Truthahn-Butterbrote daraus hervor, sowie eine Thermoskanne mit stark gesüßter Ingwerlimonade. Er wollte sich gerade auf eines der Butterbrote stürzen, als er auf dem Boden des Korbes ein Paket entdeckte.
Er legte das Brot beiseite, zog das in Papier gewickelte Päckchen heraus und öffnete das Klebeband an den Seiten.
Es waren die Eratosthenes-Bücher – Tetsuo hatte sie in den Korb gelegt, in der Erwartung, dass Fisch sie erst dann finden würde, wenn er sie nicht mehr zurückgeben konnte. Fischmehl schüttelte den Kopf und überlegte, dass er die Bücher irgendwie zurückschicken musste, als ein Stück Papier aus einem der Einbände fiel.
Fischmehl -
es tut mir Leid, wenn ich Sie durch das Angebot dieser Bücher in Verlegenheit gebracht habe. Bitte überdenken Sie noch einmal meinen Vorschlag, sie Ihnen zu verkaufen – ich glaube, dass sie in Ihre Bibliothek besser passen als in meine. Sie schulden mir fünfzig Dollar. Ich akzeptiere Ratenzahlung – ein Dollar im Jahr scheint mir angemessen.
Vielen Dank für Ihren Besuch im Soame’s. Beehren Sie uns wieder.
Tetsuo Kawaminami
Fisch blieb keine Zeit, über sein Glück oder die überaus liebenswürdige Geste nachzudenken, denn in diesem Augenblick hämmerte jemand gegen seine Tür. »Fischmehl! Fisch, bist du da? Verdammt, Junge, antworte mir!«
Es war Kapitän Pickering und er klang aufgebracht. Rasch schob Fisch die Bücher und Butterbrote unter das Feldbett und hastete zur Tür. »Ja, Kapitän?«
»Wird aber auch Zeit. Wo zum Teufel bist du gewesen?«
»Ich habe auf dem Bett gesessen.«
»Oh. Na dann ist ja gut.« Für einen internationalen Schmuggler war der Kapitän ein recht anständiger Mensch, aber er konnte ein wenig ungehalten werden, wenn er das Gefühl hatte, dass man ihn auf irgendeine Weise betrog.
»Die verdammten Amerikaner haben mich um Kraftstoff betrogen«, sagte Pickering. »Beim nächsten Mal kaufen wir unseren Kraftstoff auf jeden Fall auf der kanadischen Seite des Flusses.«
»Aber«, sagte Fischmehl schüchtern, »werden Sie in Kanada nicht immer noch als Verbrecher gesucht?«
»Hm? Weißt du, ich glaube du hast Recht. Verdammt, Junge – ich wusste, dass ich dich nicht grundlos an Bord behalte.«
Er hob ein Paket hoch, das er unter seinem Arm getragen hatte und warf es Fischmehl zu. Als dieser es auffing, spürte er, wie sich im Inneren des Pakets etwas bewegte, als befände sich ein loser Gegenstand darin.
»In der Stadt ist jemand mit diesem Paket an Wattreau und seine Jungs herangetreten und hat ihnen tausend Dollar geboten, wenn sie es an Bord nehmen, ohne Fragen zu stellen. Bei dieser Kohle sind es wahrscheinlich Drogen. Ich denke, er hat in Spanien jemanden, der nach der La Lechera Ausschau hält, und das gibt mir ein verdammt ungutes Gefühl - es wissen schon zu viele Leute, wohin wir fahren, und ich werde
Weitere Kostenlose Bücher