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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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zurückkommt, was einen größeren Lacherfolg erzielte als irgendeine Stelle in einer der Komödien. Ansonsten kann ich mich allerdings an nichts aus dem Stück erinnern. Bei den Komödien war meine gemeldet, dann Phrynichos’ Knoblauchfresser und Aristophanes’ Veteranen von Marathon. Er hatte in jenem Jahr zwei Stücke, denn er hatte einen weiteren Chor für sein Stück Die Wespen bei der Lenaia bewilligt bekommen, das enttäuschend gut ankam.
    Phrynichos’ Stück wurde für den ersten Tag angesetzt. Erst kurz vor Tagesanbruch wurde mir das Ergebnis der geheimen Abstimmung mitgeteilt, und ich schickte Doron hinüber, damit er Philonides unterrichtete. Natürlich hatte ich noch keine Ahnung, ob ich für den zweiten oder dritten Tag angesetzt werden würde, und ließ die Tragödien dieses Tages in fieberhafter Ungeduld über mich ergehen. Aus irgendeinem Grund wünschte ich mir ständig, Phaidra bei mir zu haben (die natürlich mit den übrigen Frauen auf der anderen Seite des Theaters saß), und irgendwann griff ich völlig geistesabwesend nach der Hand des Mannes, der neben mir saß. Glücklicherweise war er zu sehr von dem Stück gefesselt, um etwas davon zu bemerken, zumal er überhaupt nicht mein Typ war. Während sich Aigisthos oder Diomedes oder wer auch immer das sein sollte, durch seine unermeßliche Leidenschaft leierte, fiel mir plötzlich auf, daß meine Gefühle für Phaidra einen gefährlichen Wandel durchgemacht hatten. Statt zu wünschen, sie wäre nie geboren worden, spürte ich plötzlich, daß sich, immer wenn ich an sie dachte, eine Art Lächeln auf mein Gesicht schlich und mir ein warmer Schauer über den ganzen Körper lief. Das war natürlich nur der Fall, wenn sie nicht da war – nur wenige Minuten in ihrer Gesellschaft genügten, damit die alten und leidlich vertrauten Gefühle der Verzweiflung und des Zorns wieder in mir aufstiegen, was natürlich eine genauso übertriebene Reaktion war. Ich gewann allmählich den Eindruck, daß wir wie zwei alternde Faustkämpfer waren, die bei einer dieser Wanderbühnen arbeiten, die hin und wieder durch die ländlichen Gegenden ziehen. Jeden Tag ihres Lebens müssen sie gegeneinander kämpfen und eine Schau voller Schmerz und Gewalt abziehen, doch wenn man ganz genau hinschaut, dann schlagen sie sich überhaupt nicht. Und sobald die Zuschauer alle gegangen sind, bringt der Ältere, der womöglich nicht verheiratet ist, seinen Chiton zum Zelt des Jüngeren hinüber, damit dessen Frau das Kleidungsstück für ihn ausbessern kann.
    Dennoch schienen wir abgesehen von dem Pech, miteinander verheiratet zu sein, als einzige Gemeinsamkeit zu haben, einen nichtendenwollenden Kampf gegeneinander zu führen. Sie wissen, wie sich junge Ehemänner und -frauen ständig den Kopf zermartern, um sich kleine Freuden und Überraschungen füreinander auszudenken – eine hübsche altmodische Grashüpferbrosche oder eine neue Art, Anschovis zuzubereiten. Wir hingegen schienen genausoviel Zeit und Mühe dafür aufzuwenden, um uns neue Zurechtweisungen, Beleidigungen und Methoden, den anderen zu ärgern, auszudenken, allerdings niemals etwas, das zu sehr weh tat. Wenn ich einen Fischhändler eine besonders wenig schmeichelhafte Bemerkung über das äußere Erscheinungsbild seiner weiblichen Kundschaft machen hörte, pflegte ich sie auf dem Nachhauseweg aus Angst, sie zu vergessen, immer wieder vor mich hin zu flüstern. Und wann immer vom Abschreiber ein Buch für mich eintraf, pflegte es Phaidra als erste durchzulesen und dann mit Kohle neben jede Stelle, die Klytaimnestra oder Medeia oder irgendeine andere Heldin betraf, die ihren Ehemann getötet oder verwundet hatte, mit einem kleinen Zeichen zu markieren. Nachts taten wir selten etwas anderes als schlafen, und wenn wir zusammen ins Bett stiegen, pflegten wir jeder auf der Seite zu liegen und verbissen die jeweilige Wand anzustarren. Am Morgen geschah es allerdings häufig, daß wir die Gesichter einander zugewandt hatten, und normalerweise lag Phaidra auf meinem Arm, so daß ich von der Taubheit darin wach wurde. Gewöhnlich fingen wir dann noch halb im Schlaf zu streiten an, bis einer von uns vor Wut aus dem Bett sprang und sich waschen ging. Und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen einer von uns beiden Lust verspürte, verweigerte sich der andere nie, sondern machte lieber ein paar abfällige Bemerkungen oder stellte sich schlafend, bis der unbeholfene Vorgang vorüber war. Ich war mir ziemlich sicher, daß

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