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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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ihn sich auf derselben Stufe wie Themistokles oder gar Perikles vorzustellen, da diese Männer Athen stärker zurückließen, als sie die Stadt vorgefunden hatten. Doch in gewisser Hinsicht kann man sie vergleichen; denn jeder von ihnen brachte der Welt neue Tricks und Kniffe bei. Als Komödiendichter war es meine Pflicht, Kleon zu hassen, und ich tat mein Bestes. Aber ich bin ihm häufig begegnet und konnte nicht umhin, den Mann zu mögen.
    Unten in Piräus sah ich einmal eine Menschenmenge, die zusah, wie ein Falke eine Taube tötete. Die Ausländer wollten, daß die Taube entkam, weil sie schwächer und schöner war, aber die Athener feuerten den Falken an. Dann, als der Falke die Taube getötet und ihr den Kopf mit den Krallen abgerissen hatte, trat ein Mann mit einer Steinschleuder vor, und die Athener wetteten, ob es ihm gelingen werde, den Falken zu töten, da die Entfernung ziemlich groß war und der Falke zudem ein sehr widerstandsfähiger Vogel ist. Der Schleuderer hatte drei Obolen auf sich selbst gesetzt und bot schon deshalb sein ganzes Können auf. Einen Augenblick später lag der Falke auf dem Rücken, mausetot, im Schnabel noch einen großen Klumpen Taubenfleisch. Der Freudensturm, mit dem der Schuß gefeiert wurde, erinnerte mich an den Jubel, mit dem Kleon bei seiner Rückkehr aus Pylos begrüßt wurde und der ebenso bei der Verkündigung seines Todes bei Amphipolis aufbrannte, als er in der Schlacht gegen den unbesiegbaren spartanischen Heerführer Brasidas, etwa einen Monat nachdem mein Stück aufgeführt worden war, tapfer gefallen war. Er hatte versucht, seinen früheren überwältigenden Erfolg zu wiederholen, doch hatte er sich diesmal übernommen, und die Niederlage bei Amphipolis hob alles auf, was er in Pylos erreicht hatte.
    Ich glaube, Aristophanes verfiel über Kleons Tod in tiefe Trauer, so wie es Kratinos bei Perikles ergangen war. Doch anders als Kratinos fuhr er jahrelang damit fort, ihn in seinen Komödien anzugreifen. Ich erinnere mich, wie ich ein besonders langweiliges Stück von ihm über mich ergehen ließ, das von Dionysos handelt, der in den Hades hinabsteigt, um einen Tragiker zurückzuholen, oder ähnlichem Unsinn, und ein Ausländer, der neben mir saß, fragte mich: »Wer ist eigentlich dieser Kleon, von dem er dauernd spricht?« Ich schloß die Augen und fragte mich, wie ich ihm das bloß erklären könnte; das mit Pylos und den Informanten und der Brüderschaft der drei Obolen.
    »Keine Ahnung«, antwortete ich schließlich. »Nie von ihm gehört.«

11. KAPITEL

     
    Phaidra fand immer mehr Gefallen daran, mit mir zu den Proben zu kommen. Um bei der Schauspielertruppe, die ohne Ausnahme sehr abergläubisch war, keinen Anstoß zu erregen, verkleidete sie sich als Schuljunge und setzte sich mit Schreibtafeln auf dem Schoß irgendwo abseits von der Bühne hin. Jedem, der mich fragte, erzählte ich, sie sei ein Vetter vom Land.
    Eine Woche vor den Festspielen zertrümmerte jemand mit dem Hammer die kleine Hermesstatue vor meinem Haus und schob einen Hahn mit abgeschnittenem Kopf und Spornen unter meiner Tür hindurch. Dieser Zwischenfall störte mich allerdings nicht im geringsten; den alten Hermes ersetzte ich durch einen neuen von einem führenden Bildhauer, und den Hahn aßen wir, in Wein gedünstet, zum Mittagessen. Viel mehr machten mir die umgehenden Gerüchte zu schaffen, daß Phrynichos, der in jenem Jahr über den dritten Chor verfügte, eine der großen Reden aus der Kampfszene in die Finger bekommen und sie bearbeitet hatte, um sie in sein Stück einzubauen. Wie mir zu Ohren kam, wollte er diese Rede anstelle seiner eigenen benutzen, falls sein Stück vor meinem angesetzt werden sollte, so daß man meine von der Bühne buhen würde. Ich bat Philonides um Rat, der mir sagte, daß so etwas nicht zum erstenmal passiert wäre, und setzte mich deshalb mit brummendem Schädel und drei Rollen abgekratztem ägyptischen Papyros hin und versuchte, eine Ersatzrede zu schreiben. Zu guter Letzt gelang es mir, eine zweite Rede zu verfassen, die ich gleich darauf dem Schauspieler zum Auswendiglernen gab. Wenn Phrynichos es wirklich versuchen wollte, dann wäre ich zumindest darauf vorbereitet.
    Die Tragödien umfaßten in jenem Jahr Agathons Elektra, Euripides’ Teukros und etwas von Melanthios – in dessen Stück es eine Szene gab, wo der Held von der Bühne abgeht und, von einem Gott in ein Schwein verwandelt, mit einer niedlichen kleinen Schweinemaske und Schweinsfüßen

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