Der Ziegenchor
anfangen.
Also nahm ich von meinem Gastgeber in Araphen Abschied und ritt in die Stadt, wo ich allerdings feststellen mußte, daß Phaidra nicht da war. Der Aufseher im Haus sagte, sie sei abgereist, um draußen in der Nähe von Eleusis bei ihrem Onkel zu wohnen, und sie werde nicht vor einem Monat zurückkehren. Kurz überlegte ich, ihr nach Eleusis nachzureisen, aber ich hatte in der Stadt geschäftliche Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten, entschied mich deshalb, bis auf ihre Rückkehr zu warten. Ich ging ins Haus und erkundigte mich bei den Bediensteten, wie es Phaidra ergangen war.
Zuerst sprachen sie nur ungern mit mir, doch als ich sie erst einmal davon überzeugt hatte, mich mit ihr versöhnen zu wollen, waren sie kaum noch zu halten. Ihre Herrin sei furchtbar unglücklich gewesen, sagten sie; sie sei zu Hause geblieben und habe ihre Wolle gesponnen und Umhänge und Chitons für mich gewebt, weil sie stets gehofft habe, ich werde eines Tages zurückkommen. Nicht einen Tropfen Wein habe sie angerührt – es sei sogar nie ein Tropfen im Haus gewesen –, und sie habe sich alle meine Stücke angesehen. All das rührte mich zutiefst, bis ich mehrere zerbrochene Weinkrüge auf dem Aschenhaufen entdeckte, was mich mißtrauisch machte. Deshalb bat ich die Diener, mir die Kleidungsstücke zu zeigen, die Phaidra für mich angefertigt hatte – inzwischen mußten es mehrere Truhen voll sein. Sie blickten mich verlegen an und gaben zu, leicht übertrieben zu haben, sowohl in bezug auf die Kleidern als auch auf den Wein. Aber sie schworen bei Styx, es seien nie irgendwelche Männer im Haus gewesen, und boten mir an, sie zu foltern, falls ich ihnen nicht glauben sollte.
Dann traf ein Bote aus Eleusis mit der Nachricht ein, Phaidra werde sogar noch einige Wochen später als geplant zurückkehren. Er war sehr überrascht, mich im Haus anzutreffen, und wollte nicht mehr sagen, aber ein Vierdrachmenstück bewirkte bezüglich seines Loyalitätsverständnisses wahre Wunder, und er berichtete mir, was geschehen war.
Laut seiner Erzählung hatte sich Phaidra mit ihrer Tante und einer anderen Frau auf den Weg gemacht, um an einer dieser kleinen heiligen Stätten auf dem Land irgendein Opfer darzubringen; was immer schon eher ein Vorwand für ein idyllisches Mahl im Freien als ein religiöser Anlaß war. Sie hatten ihr Opfer dargebracht und den Rest des Essens verzehrt, und der Reitknecht spannte gerade die Esel an den Karren, als eins der Tiere von einer Fliege gestochen wurde und ausschlug. Phaidra, die gerade das Essenszubehör in den Karren lud, bekam einen Tritt ins Gesicht und ihr Kiefer brach. Zwar taten sie ihr möglichstes – so hielt sich gerade der hervorragende Arzt Eryximachos in der Nähe auf, und sie ließen ihn zu sich kommen, um den Bruch richten zu lassen –, doch war der Knochen zu sehr geschädigt, um wiederhergestellt werden zu können. Wie der Bote sagte, werde Phaidra nie wieder wie früher aussehen. Sie werde so etwas wie ein ständiges Grinsen im Gesicht haben. Genau so, sagte er, wobei er, ohne nachzudenken, auf mich deutete, allerdings nur auf einer Gesichtshälfte…
Ich brach in unbezähmbares Lachen aus, bis mir alle Umstehenden zornige Blicke zuwarfen, aber ich konnte nun mal nicht anders. Der Gedanke, daß meine wunderschöne Phaidra künftig genauso abstoßend wie ihr Mann aussehen würde – endlich mal ein Paar, das optisch gut zusammenpaßt, nur daß sie vermutlich noch ein paar Haare mehr hatte als ich –, war im gewissen Sinn das reinste Vergnügen, so wie man sich fühlt, wenn man das Eingreifen eines Gottes erkennt. Es war nicht dieses herrliche Gefühl, das man tief im Innern empfindet, wenn man von den Mißgeschicken eines Widersachers hört, denn es war überhaupt nichts Rachsüchtiges daran. Als ich mich wieder beherrscht hatte, bat ich den Boten, so schnell wie möglich nach Eleusis zurückzukehren und Phaidra zu bestellen, daß ich auf dem Weg sei. Falls er ihr gegenüber allerdings auch nur ein Sterbenswörtchen von meiner Reaktion auf seine Nachricht erwähnen sollte, würde ich dafür sorgen, daß er den Rest seines Lebens in den Silbergruben verbrachte. Am nächsten Morgen brach ich sofort nach Eleusis auf und ließ den kleinen Zeus mit mir reiten, da es zu jener Zeit typisch für mich gewesen war, Räubern in die Arme zu laufen, wenn ich allein unterwegs war. Aber meine innere Stimme riet mir, kurz in Kallikrates’ Haus vorbeizuschauen, um das goldene
Weitere Kostenlose Bücher