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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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nirgendwo auftaucht. Mal sehen, was Sie davon halten.
    »Männer von Athen«, sprach Perikles, »wenn wir sagen, daß diese ruhmreichen Helden für die Freiheit starben, was genau meinen wir dann eigentlich mit Freiheit? Ist es die Freiheit des Individuums, das zu tun, was ihm gefällt, wo und wann immer es ihm beliebt? Kann das die Art von Freiheit sein, für die unerschrockene Männer selbstlos ihr Leben opfern? Oder ist das nicht vielmehr nur eine Form von Gesetz- und Hemmungslosigkeit? Nein, Männer von Athen, wir meinen natürlich die Freiheit unserer großen und unvergänglichen Stadt, die es in der einen oder anderen Gestalt auch dann noch geben wird, wenn wir alle längst tot und begraben sind. Denn niemand kann wirklich frei sein, solange sein Mitbürger noch in Ketten liegt, und niemand kann behaupten, in einer freien Stadt zu leben, solange sein Nachbar nicht genauso frei ist wie er selbst. Dafür, Männer von Athen, haben unsere Kameraden ihr kostbares Blut vergossen, und diese Freiheit soll noch ihr Denkmal sein, wenn längst alle Göttertempel zu Staub zerfallen und die Statuen berühmter Männer vom Zahn der Zeit zernagt sind.«
    An dieser Stelle hätte ich die Rede gern unterbrochen, denn der berühmte Perikles hatte gerade eben behauptet, die Stadt werde ewig hier stehen, und jetzt sagte er, die Tempel würden zusammenfallen und die Statuen auf dem Marktplatz vom Zahn der Zeit zernagt werden. Kurz, ich war hoffnungslos verwirrt und konnte nicht viel von einem Redner halten, der es zuließ, daß seine Zuhörer den Faden verloren. Aber außer mir standen alle mit aufgerissenem Mund da, als wäre diese Rede eine Botschaft der Götter, und ich weiß noch, daß ich darüber nachdachte, wie dumm ich sein mußte, weil ich den Sinn von allem überhaupt nicht verstanden hatte.
    Die Rede gipfelte schließlich in einem hervorragenden, aber größtenteils undurchsichtigen Schluß, und jetzt war die Zeit für die Überreichung der Rüstungen gekommen. Wir Kinder wurden ordentlich hintereinander aufgereiht, ich stand irgendwo am hinteren Ende der Reihe, und nun schob man vorsichtig einen großen Karren voller zusammengebundener Brustharnische, Schilde, Helme und Beinschienen rückwärts in den freien Raum neben der Tribüne. Zwei Männer ließen die uns zugewandte hintere Klappe des Karrens herunter, nahmen jeweils eine Rüstung heraus und lasen der Reihe nach die Namen vor. Daraufhin ging der Aufgerufene nach vorn, nahm von den beiden Männern die Rüstung in Empfang, wurde von Perikles umarmt (der wieder zu einem kleinen Fettwanst zusammengeschrumpft zu sein schien) und verschwand mit der klirrenden Rüstung in der Menschenmenge, um von seiner Mutter gehätschelt zu werden. Nach einer Zeit, die mir wie Jahre vorkam, hörte ich auch meinen Namen. Ich atmete tief durch, betete zu Dionysos, er möge mir Glück geben, und trottete zur Tribüne hinüber. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden Männer, die die Rüstungen vom Karren luden, bereits durstig und müde. Deshalb drückten sie mir den riesigen Metallhaufen einfach in die Arme und schubsten mich praktisch gegen Perikles, der mich zu umarmen versuchte und sich dabei fast den Arm am scharfen Rand des nagelneuen Schilds aufschnitt. Ohne seinen vornehm-würdigen Gesichtsausdrucks zu verändern, zischelte er mir zu: »Paß doch auf, du blöder Trampel, du hast mir fast den Arm abgeschnitten!« Dann zog er mich zu sich heran, nahm mich symbolisch in die Arme und stieß mich wieder weg. Ich war so damit beschäftigt, die einzelnen Teile der Rüstung festzuhalten, daß ich prompt mit dem nächsten Jungen zusammenprallte, der zur Tribüne unterwegs war, und ihn dabei glatt umstieß. Nach einem Irrweg, der mir länger erschien als sämtliche Irrfahrten des Odysseus zusammen, fand ich schließlich zurück zu meinem Platz in der Menge, stieß einen tiefen Erleichterungsseufzer aus und ließ die Rüstung einfach fallen. Natürlich knallte sie mit einem unbeschreiblichen Klirren und Scheppern auf den Boden, woraufhin sich alle umzudrehen schienen, um mich entsetzt anzustarren. Von diesem Tag an haßte ich die Rüstung, die mir auch später nicht besonders viel Glück brachte, wie man noch zu gegebener Zeit sehen wird.
    Wie ich schon zuvor berichtete, war Perikles etwa ein Jahr später tot. Eigentlich müßte man sich als Historiker glücklich schätzen, solch einen wichtigen und bedeutenden Mann getroffen zu haben, bei mir ist das allerdings keineswegs der Fall. Ich denke,

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