Der Ziegenchor
Landwirtschaft für eine Wissenschaft und nicht für ein Glücksspiel hielten, erklärten sogar, dieses regelmäßige Abfackeln des Getreides verhindere eine Auslaugung des Bodens, wie wir sie schon seit Generationen betrieben hätten, und führe sogar zu neuen Rekordernten, sobald der Krieg erst einmal beendet sei. Das es sich dabei um eine maßlose Übertreibung handelte, braucht man erst gar nicht zu erwähnen. Logisch ist jedoch, daß die Pest bei weitem nicht so schlimme Ausmaße angenommen hätte, wenn die Stadt nicht bis zum Zerbersten mit Menschen vollgestopft worden wäre. Im großen und ganzen hätte Perikles’ Politik sogar funktioniert, wenn wir so geduldig gewesen wären, sie konsequent fortzusetzen, und Perikles selbst überlebt hätte.
Im Grunde ist das allerdings nichts anderes als zu sagen, wir könnten viel größere Erträge pro Morgen Land erzielen, wenn es nur häufiger regnen würde. Ein typisches Merkmal des Atheners sind nämlich seine Ungeduld und Rastlosigkeit, und diese Eigenschaft tritt natürlich noch deutlicher hervor, wenn man alle Athener auf der Welt in einer von Mauern umgebenen Stadt zusammenpfercht. Die Folge davon wird nämlich sein, daß sämtliche Athener zu Volksversammlungen gehen und über irgend etwas abstimmen, nur um die Zeit totzuschlagen. Zum erstenmal in der Geschichte wurde damals das Ideal, auf das sich unsere Demokratie stützt, in die Tat umgesetzt: Sämtliche Bürger Athens besuchten die Versammlungen und hörten den Reden zu, was natürlich das totale Chaos zur Folge hatte. Selbst die schlichtesten Gemüter aus dem hintersten Winkel Attikas fanden auf einmal heraus, wie ihr Staat regiert wurde, und wollten selbstverständlich mitspielen. Sogar ein Perikles hätte nicht allzulange die Herrschaft über etwa fünfzigtausend denkende Athener behalten können.
Dennoch machten gerade alle diese sinnlos herumlungernden Menschen, die bis aufs Reden überhaupt nichts zu tun hatten, Athen zu einer interessanten (wenn auch zweifellos schmutzigen und verwahrlosten) Stadt. Vielleicht handelt es sich dabei auch nur um eine leicht übertriebene Kindheitserinnerung, aber ich könnte schwören, daß es in Athen nicht nur wie in einem Bienenstock zuging, sondern auch genauso unaufhörlich summte – wo man auch hinging, man war nie weit von menschlichen Stimmen entfernt. Da man weder Arbeit noch viel Geld zum Ausgeben hatte, war das einzig mögliche Vergnügen die Freude am gesprochen Wort. Wenn es jemals einen geeigneten Ort und Zeitpunkt für einen aufstrebenden Komödiendichter gegeben hat, dann damals in Athen. Denn das Hauptgesprächsthema jener Tage waren bis auf wenige Ausnahmen Politik und Krieg, worum es sich in einer Komödie natürlich ausschließlich zu drehen hat.
Nachdem die Spartaner genug davon gehabt hatten, unsere Ernte zu zerstören, und sich wieder einmal davonmachten, und als unsere Flotte nach der Durchführung ähnlicher Taten in Messenien und Lakonien zurückgekehrt war, zogen wir nach Hause, um nachzusehen, was dieses Jahr alles vernichtet oder gefällt worden war, und um die Wintergerste auszusäen. Es wirkt zwar ein wenig merkwürdig, aber wir haben immer wieder den Boden umgepflügt und neue Ableger von Weinreben angepflanzt, weil wir einfach die Hoffnung nicht aufgeben wollten, daß es im Jahr darauf einmal keine Invasion geben werde. Ich glaube, daran sieht man sehr gut, daß sich keiner von uns jemals träumen ließ, Athen könne womöglich den Krieg verlieren. Schlimmstenfalls würden wir uns alle im darauffolgenden Jahr wieder in der Stadt einfinden, um unsere Gespräche und Diskussionen fortzusetzen. Doch damals waren wir Athener davon überzeugt, daß es wir alles schaffen konnten und es für unsere zu verwirklichenden Pläne keine Grenzen gab. Wir waren nicht nur entschlossen, früher oder später sämtliche Völker der Welt zu besiegen, sondern waren mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem wir auf jede beliebige Frage eine Antwort parat hatten. Wir hegten nicht den geringsten Zweifel, daß alles gelöst oder erklärt werden konnte, wenn man nur lange genug darüber nachdachte und diskutierte. Kurz, es gab immer irgend etwas, womit man sich beschäftigen, und stets etwas Neues und Schönes, auf das man sich freuen konnte. Daß wir uns in der Zwischenzeit weiterhin mühsam von den Erträgen derselben kleinen Landflecken ernähren mußten, auf denen sich vor uns schon unsere Väter zu Tode geschuftet hatten, wurde bei der allgemeinen
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