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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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es wäre viel besser gewesen, wenn mein Vater nicht gefallen wäre und ich nie eine Rüstung aus öffentlichen Mitteln erhalten hätte. Meine einzige Entschuldigung für diese bedauerliche Einstellung lautet, daß ich, auch wenn ich heute Historiker bin, damals eben keiner war – ich bin mir nicht einmal sicher, ob man die Geschichtsschreibung zu jener Zeit überhaupt schon erfunden hatte –, und deshalb entstand mein damaliger Eindruck ohne Zuhilfenahme einer Dosis Historikerinstinkt. Was Perikles selbst angeht, habe ich es auf ziemlich ungewöhnliche Weise geschafft, mein verschwommenes Bild von einem Übermenschen, das ich bis zum heutigen Tag von ihm habe, nicht durch unsere Begegnung beeinflussen zu lassen. Der kleine Fettwanst mit dem komischen Kopf, behaupte ich einfach, kann gar nicht dieser ruhmreiche Heerführer gewesen sein, der die Stadt in den Jahren vor dem Krieg regiert hat, und genausowenig kann es sich bei ihm um dieses fette Scheusal gehandelt haben, das ich jedesmal in Gedanken sehe, wenn ich nach einem schönen Abend einen meiner Zeitgenossen eine Stelle aus einer Komödie von Kratinos singen höre. Diese beiden Wesen führten und führen immer noch ganz verschiedene Eigenleben. Wenn ich nicht aufpasse, glaube ich irgendwann noch an den ganzen Unsinn, den man heutzutage von den Leuten hört, die nichts Besseres zu tun haben, als im Gymnasion herumzulungern und von der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz urbildlicher Ideen zu schwafeln.
    Alle diese Erinnerungen an die Vergangenheit haben mich jetzt völlig durcheinandergebracht. Außerdem habe ich manchmal Schwierigkeiten, mich mit der Tatsache abzufinden, daß ich damals immer an den richtigen Schauplätzen gewesen bin und in alle die großen Ereignisse verwickelt war, die man jetzt für aufzeichnenswert hält. In der Odyssee gibt es eine Stelle, die mit diesem merkwürdigen Gefühl ziemliche Ähnlichkeit hat: Nachdem Odysseus alle Schiffe und Gefährten verloren hat, strandet er auf einer entlegenen Insel, auf der niemand die leiseste Ahnung hat, wer er ist. Trotzdem darf er im Saal des Königs sitzen, wo er Haferbrei ißt und sich über seine Lage Gedanken macht. Da gibt der Sänger Demodokos eine Weise über längst vergangenen Heldenmut von sich, in der es sich ausschließlich um das Leben des berühmten Odysseus und den Untergang von Troja dreht. Einen Moment lang denkt unser Held daran aufzustehen und zu sagen: ›Das bin ich!‹, aber er widersteht diesem Drang. Schließlich singt Demodokos von einem Helden und nicht von ihm, denn die ihm zugeschriebenen Wundertaten hat er in Wirklichkeit nie vollbracht.
    Komm schon, Eupolis, kehr lieber wieder zu deiner eigenen Geschichte zurück, solange du dich noch nicht mehr als eine große Bogenschußweite vom Zusammenhang entfernt hast. Perikles’ Politik zur Führung des Peloponnesischen Kriegs war mehr als einfach: Da nach seinem Dafürhalten jede größere Landschlacht zwischen Athen und Sparta zwangsläufig mit einem entscheidenden Sieg der Spartaner enden mußte, hielt er es von seiner Seite her für einen raffinierten Zug, einfach sämtliche größere Landschlachten aus seinem Veranstaltungsprogramm zu streichen. Statt dessen ließ er die gesamte Bevölkerung Attikas sofort in der Stadt zusammenpferchen, sobald auch nur ein einziger Spartaner mit dem kleinen Zeh die Grenze überschritten hatte, und sandte die Flotte aus, um vor den spartanischen Besitzungen entlang der peloponnesischen Küste vom Staat sanktionierte Gemetzel zu entfachen. Daraufhin kam das spartanische Heer wild wie ein Hund auf Katzenjagd nach Attika gestürmt, nur um festzustellen, daß die Katze längst auf einen Baum geklettert war und sich weigerte, wieder herunterzukommen und zu kämpfen. Also vergnügten sich die Spartaner so gut wie möglich, indem sie wie eine Horde Wildschweine unsere gerade wieder Früchte tragenden Olivenbäume fällten und die Weinreben aus dem Boden rissen. Dann kehrten sie mit leeren Händen nach Hause zurück und hatten dabei nicht viel mehr zustande gebracht, als ein einigermaßen heftiger Sturm in der halben Zeit doppelt so gründlich geschafft hätte. Weil aber weiterhin die Tributgelder in die Kassen Athens flossen und sich die Getreideschiffe im Hafen von Piräus auf der Suche nach einem der nur spärlich zur Verfügung stehenden Liegeplätze fast gegenseitig versenkten, fügte uns die alljährliche Vernichtung unserer Ernten keinerlei Schaden zu – einige der Leute, die die

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