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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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eine Vervollkommnung der Redekunst und eine allgemeine Liebe zum gesprochenen Wort in seinen feinsten und kultiviertesten Formen ab, wobei von letzterer sämtliche Gesellschaftsschichten erfaßt wurden. Kein Wunder, daß wir ein Volk der Ästheten sind.
    Das einzige Problem war Sparta. Seit Zeus, dessen Humor uns Sterblichen nicht besonders ansprechend erscheint, Athen und Sparta auf denselben Landstreifen gesetzt hat, gab es zwischen den beiden Städten Krieg. Athener und Spartaner um ein friedlich Miteinander zu bitten, ist ganz so, als erwarte man von der Nacht, sich mit dem Tag zu vermählen, oder vom Winter, mit dem Sommer ein Angriffs- und Verteidigungsbündnis einzugehen. Weil die Spartaner fraglos über die besten Landstreitkräfte in der Welt verfügten, zogen sie aus den Kriegen im allgemeinen auch den größten Nutzen. Doch da die spartanische Bevölkerung zahlenmäßig gering war und zudem die meiste Zeit damit verbrachte, das eigene Reich im Süden Griechenlands an die Vorzüge unerschütterlicher Treue zu erinnern, war Sparta nie in der Lage, dauerhafte Maßnahmen gegen seinen Erzfeind zu ergreifen, wie zum Beispiel Athen niederzubrennen und Salz auf die Asche zu streuen.
    Sparta war zwar während der Perserkriege dem Namen nach Führer des Peloponnesischen Bunds gewesen, aber kaum hatte sich herausgestellt, daß die Perser nur auf dem Meer zu besiegen waren, war die wirkliche Führung an Athen übergegangen. Da die Spartaner gleich nach Kriegsende mit innenpolitischen Auseinandersetzungen zu tun hatten, konnten sie uns damals auch nicht daran hindern, unser Reich in der vorhin von mir beschriebenen Weise aufzubauen. Kaum hatten sie ihre innenpolitischen Probleme im Griff, begannen sie allerdings, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Ihnen war natürlich klar, daß das Attische Reich nach Erreichen einer gewissen Stärke seine gesamte neugewonnene Kraft daransetzen würde, Sparta in Grund und Boden zu stampfen, um die unterworfenen Völker zu befreien und das einzige ernstzunehmende Hindernis für die Vormacht Athens in Griechenland aus dem Weg zu räumen. Mit einem sogar für sie beachtlichen Maß an Scheinheiligkeit ernannten sich die Spartaner deshalb selbst zum Fürsprecher der unterdrückten und versklavten Völker und verlangten, daß wir sofort die Flotte auflösen und damit aufhören sollten, von unseren Verbündeten Tribut zu erpressen.
    Auf diese Weise kam es zwischen Athen und Sparta zum sogenannten Peloponnesischen Krieg, das war elf Jahre nach meiner Geburt. Einer der ersten gefallenen Athener war mein Vater, der mit den Expeditionsstreitkräften nach Poteidaia gezogen war. Doch zurück zu Themistokles. Schon mehr als dreißig Jahre vor Ausbruch des Peloponnesischen Kriegs hatte dieser Mann zweifelsfrei bewiesen, daß er der vernünftigste und klügste Mann in ganz Athen gewesen war, und dafür die unvermeidliche Strafe erhalten, nämlich zunächst die Verbannung durch Ostrakismos und einige Jahre später die Verurteilung zum Tode wegen angeblichen Hochverrats. Soweit ich mich erinnere, konnte er damals jedoch fliehen und begab sich umgehend an den Hof des persischen Großkönigs, der ihn mit drei Städten belehnte. Vielleicht hätte Themistokles sogar noch bis ins hohe Alter weitergelebt, wenn es ihm gelungen wäre, seine Klugheit etwas geschickter zu verbergen. Aber immerhin brachte er es fertig, nicht von fremder Hand getötet zu werden, denn er nahm sich durch das Trinken von vergiftetem Stierblut selbst das Leben – stilvoll bis zum letzten Atemzug. Sein Platz war nun der Reihe nach von einer Anzahl nicht ganz so gescheiter Athener eingenommen worden, wobei insbesondere der ruhmreiche, aber abgrundtief dumme Kimon hervorstach, der allen Ernstes geglaubt hatte, der Zweck des Ersten Attischen Seebunds bestehe im Kampf gegen die Perser, bis endlich der berühmte Perikles an die Macht gelangt war, als sich gerade das Verhältnis zwischen Athen und Sparta immer mehr zugespitzt hatte.
    Genau dieser Perikles war es auch, der mir die erste Rüstung schenkte. Damals war es nämlich Gesetz, daß der Staat dem minderjährigen Sohn eines Kriegers, der im Einsatz gefallen war, kostenlos mit einer Rüstung ausstattete, was angesichts des Bronzepreises sowohl eine sehr großzügige als auch äußerst taktvolle Geste war. Aus diesem Anlaß fand regelmäßig auf einem der Friedhöfe Athens eine Zeremonie statt, bei der der Heerführer des jeweiligen Jahres eine zu Herzen gehende Rede hielt und dann den

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