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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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meinen Teil verschwendete kaum einen Gedanken an sie; schließlich gab es für mich noch viele wunderbare Dinge zu sehen und zu tun.
    Allem Anschein nach war weder die Fläche meiner Ländereien begrenzt noch die Zahl der Männer und Frauen, die mich (zumindest dann, wenn sie mich direkt ansprachen) ›Herr‹ nannten. Wäre ich mit diesem Landbesitz zur Welt gekommen, hätte ich das wahrscheinlich nicht einmal besonders bemerkt; zumal ich viel zu sehr damit beschäftigt gewesen wäre, andauernd vor Neid zu erblassen, sobald ich jemanden mit auch nur einem Morgen mehr Land oder einem besseren Pflug gesehen hätte. Es ist schon merkwürdig, aber ich habe immer wieder feststellen müssen, daß, je reicher ein Mann wird, er um so stärker von dem Gedanken an Reichtum besessen ist, bis er schließlich in den Wahn verfällt, daß außer ihm überhaupt niemand mehr etwas besitzen dürfe. Dann geht dieser Reiche natürlich in die Politik und rutscht am Ende in der Volksversammlung vor den Ruderern auf den Knien, leckt ihnen die Sandalenriemen und heuchelt Interesse an der Armut auf dem Lande und dem dortigen Versorgungsproblem. Ich nehme an, das ist Zeus’ Methode, den größten Glückspilzen gewisse Grenzen zu stecken.
    Genau solch ein Schoßkind des Glücks war Perikles’ Nachfolger als Führer der Athener, ein Mann namens Kleon. Der Leser wird vielleicht überrascht sein, aber es scheint mir gerechtfertigt, an dieser Stelle ein paar Worte über Kleon zu verlieren, da er einen Teil seines Vermögens einer Gerberei verdankte, die von Rechts wegen eigentlich mir hätte gehören müssen. Ich möchte Sie keineswegs mit den Einzelheiten langweilen, doch mein Großvater hatte schon vor langer Zeit einen fünfzigprozentigen Anteil an dem Betrieb erworben und diesen Kauf prompt wieder vergessen. Nachdem er das Zeitliche gesegnet hatte, spielte mein Onkel Philodemos kurz mit dem Gedanken, vor Gericht zu gehen, um den Gerbereianteil für mich zurückzufordern. Aber verständlicherweise nahm er dann doch lieber von diesem Vorhaben Abstand, denn damals gehörte Kleon nicht zu der Sorte Mensch, die man, und sei es aus noch so triftigem Grund, einfach vor Gericht brachte, es sei denn, man suchte nach einem Vorwand, die nächsten zehn Jahre auf Weltreise zu gehen.
    Die andere Hälfte der Gerberei hatte damals Kleons Vater gehört, und trotz (oder gerade wegen) des mangelnden Geschäftsinteresses seines Partners lief der Betrieb hervorragend. Zu jener Zeit herrschte große Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Leder, aus dem Schilde und ähnliche Dinge für den militärischen Bedarf gefertigt wurden. Da Kleons Vater von geschäftlichen Dingen keine Ahnung hatte, übertrug er die gesamte Verantwortung einem fähigen Betriebsleiter. Auf diese Weise eroberte sich die Gerberei schnell einen großen Marktanteil. Doch als Kleon der Betrieb von seinem Vater als Teil des durch Ehevertrag übereigneten Vermögens übertragen wurde, erwachte in dem neuen Besitzer – er gehörte zu diesen Leuten, die von nichts die Finger lassen können – ein großes Interesse an der Ledermanufaktur. Schon bald warf die Gerberei den doppelten oder dreifachen Gewinn ab und wurde somit zu Kleons wichtigster Einnahmequelle, und man konnte den Gestank der Gerbstoffe von den Propyläen bis zur Pnyx riechen.
    Hätte er sich allein mit dem Gerben und der Bewirtschaftung seines Grund und Bodens begnügt, dann bezweifle ich, ob er mit Ausnahme der Menschen, die das Pech hatten, in der Nähe seiner Gerberei zu wohnen, jemals einen einzigen Feind auf der Welt gehabt hätte. Er war ein von Natur aus stiller und sensibler Mensch, der nichts so sehr schätzte wie eine bequeme Liege in einem freundlichen Haus, den einen oder anderen Becher guten Weins und dazu ein paar Freunde, die mit ihm gemeinsam die Hymne auf den Tyrannenmörder Harmodios sangen. Doch tief in seinem Innern brodelte eine Unruhe, die ihn dazu trieb, alles mögliche auszuprobieren und zu verbessern; den Anblick von Unfähigkeit, verschenkten oder verpaßten Gelegenheiten konnte er einfach nicht ertragen. Darüber hinaus hatten ihn die Götter mit einer sehr lauten Stimme und einer angeborenen Redegewandtheit gestraft, und irgendwann einmal muß ihm ein Schwachkopf erzählt haben, daß er, wenn er so erfolgreich eine Gerberei zu führen wisse, wahrscheinlich auch in der Lage sei, Athen zu regieren. Also macht sich Kleon auf und geht in die Politik. Und weil er diesen furchtbaren Drang verspürt, bei allem,

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