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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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darauffolgende Woche durchfeiern würde, ist die Bedrohung der Freiheit eines Dichters gleichzeitig eine Bedrohung für alle Dichter. Im Grunde war es das gleiche wie bei den Invasionen der Perser, denn wir hörten damit auf, uns gegenseitig zu bekämpfen und schlossen uns gegen einen gemeinsamen Feind zusammen.
    Natürlich versuchte Kleon so etwas Dummes nie wieder, und schon im darauffolgenden Jahr nahm alles wieder seinen gewohnten Gang. Der einzige Unterschied bestand jetzt darin, daß Aristophanes vor seiner Verurteilung nichts weiter als ein Schreiber von Schmierenkomödien gewesen war, danach jedoch für alle Zeiten der Mann blieb, den Kleon mundtot zu machen versucht hatte, und demzufolge mußte einfach alles von Aristophanes gut sein. Zumindest ist das – abgesehen von einem vollkommenen Mangel an Geschmack und kritischem Urteilsvermögen seitens des athenischen Publikums – die einzige Erklärung für Aristophanes’ einmalige Ausbeute von Preisen bei den Festspielen.
    Kommen wir nun zu Aristophanes’ Leben. Er ist sieben oder acht Jahre älter als ich und hat schon in jungen Jahren mit dem Dichten angefangen. Sein erstes Stück, Die Schmausbrüder, wurde bereits Jahre, bevor er das gesetzmäßige Alter zur Aufstellung eines Chores erreicht hatte, aufgeführt. Deshalb mußte er in den sauren Apfel beißen und seinen Onkel als Verfasser der Komödie ausgeben. Nachdem dieser Chor bewilligt worden war, verlor er allerdings keine Zeit, die Sache richtigzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war es aber bereits zu spät, ihm den Chor wieder zu entziehen, da der Ausschuß für Theaterstücke und Kriegsschiffe bereits einen Geldgeber bestimmt hatte und damals niemand auch nur im Traum daran gedacht hätte, sich der Pflicht der Chorfinanzierung zu entziehen. Alles in allem war dieses als Liturgie bezeichnete System hervorragend. Der Ausschuß führte eine Vermögensveranlagung sämtlicher Bürger durch und stellte eine Liste derjenigen auf, die wohlhabend genug waren, für den einjährigen Unterhalt einer Triere, eines dreirudrigen Kriegsschiffs der Flotte, zu sorgen und die Produktionskosten eines Theaterstücks zu bezahlen. Die Reichen waren sogar stolz darauf, zur Entrichtung dieser Abgaben herangezogen zu werden (war es doch ein todsicherer Weg, die ganze Welt darüber in Kenntnis zu setzen, welch immenses Vermögen man besaß), und im großen und ganzen funktionierte dieses System einwandfrei. Es war eine gute Regelung, auf jeden Fall sehr viel besser als die heutige Lösung unserer Finanzierungsprobleme.
    Hätte ich Aristophanes auf dem Marktplatz oder bei einem literarischen Treffen kennengelernt, wäre es meiner Ansicht nach durchaus denkbar gewesen, daß ich mich mit ihm gut verstanden und mein ganzes Leben einen anderen Verlauf genommen hätte. Doch bekam ich ihn das erstemal inmitten meiner Ziegenherde oberhalb von Pallene zu Gesicht, obwohl ich damals natürlich nicht die leiseste Ahnung hatte, wer er war. Ich war zu der Zeit acht Jahre alt, Aristophanes muß also ungefähr fünfzehn oder sechzehn gewesen sein und wahrscheinlich gerade an seiner ersten Komödie geschrieben haben. Sein Vater besaß in unserem Teil von Pallene ein etwa vier Morgen großes Stück Land, doch der Großteil seines Grund und Bodens lag im Südosten von Attika. Außerdem gehörten ihm noch verschiedene Ländereien auf Ägina. Jedenfalls mußte sich Aristophanes von Zeit zu Zeit vom Stadtleben losreißen, um sich ein wenig halbherzig der Landwirtschaft zu widmen, und zur Vertreibung der dabei entstehenden Langweile spielte er seinen Nachbarn immer wieder Streiche.
    Eines schönen Tages befand ich mich mit meinen Ziegen auf dem Hymettos und hatte vor den sengenden Sonnenstrahlen Schutz unter einem verkümmerten Feigenbaum gesucht, dem einzigen Überbleibsel eines hartnäckigen Bebauungsversuchs dieses kargen Landstrichs. Zu dieser verzweifelten menschlichen Anstrengung gibt es sogar eine Geschichte, und weil es darin um Peisistratos geht, halte ich es für legitim, sie hier unter der allgemeinen Überschrift ›Athenische Geschichte‹ einzufügen. Wie Sie wissen, war Peisistratos vor weit über hundert Jahren Tyrann von Athen. Er war der erste, der Silbermünzen prägen ließ, und er benutzte Staatseinnahmen, um vielen Armen ohne Land zu kleinen Gehöften zu verhelfen. Seinerzeit wurde jedes kultivierbare Stück Land erschlossen und urbar gemacht, und Peisistratos setzte sein Subventionsprogramm selbst dann noch fort, als längst nur

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