Der Ziegenchor
was er anfaßt, Erfolg zu haben (das ist nämlich typisch athenisch), geht er an die Politik genauso heran wie an den Lederhandel, indem er die Zwischenhändler umgeht und direkt an die Masse der Endverbraucher verkauft. Er hält sich erst gar nicht lange damit auf, sich wie Perikles für eines der großen Staatsämter zur Wahl zu stellen, sondern steht in der Versammlung auf und sagt (oder schreit) einfach frei seine Meinung heraus. Dabei stellt sich dann heraus, daß sein Kopf ständig voller neuer und noch aufregenderer Ideen steckt, wie man die Wähler noch reicher machen oder sie zumindest durch Klagen bei Gericht vor den zwar größtenteils nicht näher bestimmbaren, aber dennoch höchst bedrohlichen und gefährlichen Aktivitäten der politischen Gegner schützen kann. Durch diesen Ideenreichtum wurde Kleon schnell zum mächtigsten Mann in Athen.
Eigentlich sollte ich mich schämen, solch ein sentimentaler, weichherziger alter Demokrat zu sein, aber mir fällt es wirklich schwer, mit Kleon hart ins Gericht zu gehen, weil ihm sowieso von vielen Seiten Feindseligkeiten entgegenschlugen. Damit will ich nicht unterstellen, er sei ein guter oder sogar wohlmeinender Mensch gewesen – ganz im Gegenteil, denn er war ein Egozentriker, dessen Größenwahn Athen unsäglichen Schaden zufügte. Aber das gleiche kann man von allen großen Staatsmännern unserer langen und ruhmreichen Geschichte behaupten, so daß man ein solches Gehabe irgendwann als ganz normal empfindet. Kleon brachte immerhin ein bißchen Format in ein ansonsten erbärmliches und wenig erhebendes Schauspiel, und wenn er es nicht getan hätte, wäre bestimmt jemand anders mit weit geringerem Unterhaltungswert in seine Rolle geschlüpft. Was ich Kleon jedoch einfach nicht verzeihen kann, ist eher ein Vergehen gegen Dionysos als eins gegen die Stadt – er erstattete Anzeige gegen einen Komödiendichter.
Wenn ich Komödiendichter sage, meine ich Aristophanes, den talentlosesten Menschen, dem jemals von einer allzu nachsichtigen Nation ein Chor bewilligt worden ist. Ohne Frage wurde Kleon von ihm in einem unerträglichen Maß provoziert. Dabei meine ich nicht durch das, was Aristophanes über ihn auf der Bühne sagte, denn Kleon konnte genau wie jeder andere einen Scherz vertragen, selbst einen schlechten und endlos wiederholten Witz über die Größe und das Aussehen seines Fortpflanzungsorgans. So habe ich ihn einmal im Publikum während eines Stücks von Aristophanes beobachtet, in dem es ausschließlich um persönliche Angriffe auf den Politiker ging, und ich glaube sogar, Kleon gefiel die Komödie sehr viel besser als mir. Nein, was Kleon so aufregte, war das, was Aristophanes hinter seinem Rücken auf Gesellschaften, bei Opferfesten und auf dem Marktplatz über ihn sagte. Aus irgendeinem Grund, den ich nie verstehen konnte, schenken die Leute Aristophanes’ Äußerungen Glauben, obwohl alle, die ihn nur halb so gut kennen wie ich, ihm nicht einmal die Behauptung abnähmen, sie hätten zwei Ohren.
Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß Kleon den Dichter Aristophanes wegen Staatsverleumdung in Gegenwart von Ausländern anzeigte, was eines der furchtbarsten Verbrechen ist, dessen man beschuldigt werden kann, obwohl bisher noch niemand dazu gekommen ist, genauer zu definieren, was daran so verwerflich ist. Jedenfalls wurde Aristophanes ordnungsgemäß vor Gericht gestellt und verurteilt. Zwar kam er mit dem Leben davon, wurde aber mit einer sehr hohen Geldstrafe belegt, und von diesem Tag an wurde Kleon zur bevorzugten Zielscheibe von Aristophanes wie auch allen anderen Komödiendichtern Athens. Obendrein beließen es die Dichter aber nicht nur bei (den durchaus zu erwartenden und folglich recht harmlosen) Attacken gegen Kleon, sondern enthielten sich auch noch der Angriffe auf seine Feinde, was viel schwerwiegender war. Noch nie zuvor war jemandem der Gedanke gekommen, das Recht des Komödiendichters in Frage zu stellen, nämlich genau das zu äußern, was er über eine x-beliebige Person sagen will, und zwar von den Heerführern und Göttern bis zum kleinen Vogelverkäufer an der Straßenecke, der einem einen kranken Wiedehopf verkauft und sich womöglich nach dem Tod des Vogels weigert, den Kaufpreis zurückzuerstatten. Dabei geht es ums Prinzip, denn obwohl es mir ausgesprochen schwer fällt, auch nur einen einzigen Komödiendichter zu nennen, der nicht auf die Nachricht hin, daß einer seiner Kollegen zum Tode verurteilt worden sei, die ganze
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