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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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völlig verdutzt und überlegte kurz, ob er vielleicht ins falsche Haus geraten war. Aber gleich darauf erblickte er seine Frau, die neben dem Fremden stand und die Brosche an ihrem Gewand zu verschließen versuchte, und da wußte er, daß er richtig war.
    »Na, das ist ja wohl ein starkes Stück!« raunzte Euergetes den Fremden an. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Der allmächtige Zeus etwa?«
    Der Skythe durchforstete gerade die Tiefen seines Gehirns nach ein paar passenden Worten, als ihm sein Gegner mit dieser Frage zur dringend notwendigen Inspiration verhalf, und er antwortete schlicht und ergreifend: »Genau!«
    Euergetes zuckte nervös mit den Augen. »Was hast du da eben gesagt?«
    »Bist du etwa nicht nur ungläubig, sondern auch noch blind?« brüllte ihn der Skythe an. »Siehst du denn nicht, daß ich Zeus bin?«
    Zunächst brauchte Euergetes eine Weile, um sich damit anzufreunden, doch als sich sein Verstand mit dieser Vorstellung erst einmal abgefunden hatte, glaubte er blindlings daran. Schließlich schlüpft Zeus in den Sagen immer wieder in menschliche Betten, wobei immerhin solch erstaunliche Ergebnisse wie Sarpedon, Perseus und der ruhmreiche Herakles herauskamen. Einem einfältigen und gutgläubigen Mann wie Euergetes muß es sehr viel wahrscheinlicher vorgekommen sein, daß seine lebenslange Frömmigkeit durch den Besuch des großen Ehebrechers belohnt worden war, als daß seine Gattin womöglich so wenig von ihm hielt, um sich gleich den nächstbesten Liebhaber zu nehmen. Er zögerte ungefähr eine fünfundsiebzigstel Sekunde lang, dann fiel er vor lauter religiöser Ehrfurcht wie benommen auf die Knie.
    Nun war Myrrhine eine vernünftige Frau und wußte, daß dieser glückliche Zustand nicht ewig anhalten konnte. Wenn der vermeintliche Gott ein echter Gott war, hätte er jetzt irgendein Wunder vollbringen müssen – wie zum Beispiel den Raum mit Blumen zu füllen oder aus dem Boden eine Quelle entspringen zu lassen –, aber ganz bestimmt würde er nicht wieder Umhang und Gewand anziehen und einfach auf die Straße hinausspazieren. Da fiel ihr Blick zufällig auf das kleine Parfümfläschchen. Während ihr Gatte eifrig zum Skythen betete, schlich sie sich von hinten an ihn heran und schlug ihm das Fläschchen mit voller Wucht auf den Kopf. Euergetes kippte wie ein von den Spartanern gefällter Olivenbaum aus den Latschen, und der Skythe warf sich die Kleider über und floh aus dem Haus. Ein paar Minuten später kam Euergetes wieder zu sich, setzte sich auf und hielt sich stöhnend den Kopf. Sein ganzes Gesicht war voller Blut, gemischt mit teurem syrischen Parfüm, und er hatte völlig die Orientierung verloren.
    »Was ist denn bloß passiert?« stöhnte er.
    »Du Narr!« schimpfte seine Frau. »Du bist vom Blitz getroffen worden.«
    »Ach, tatsächlich?« fragte Euergetes. Dann erinnerte er sich wieder. »War der Gott denn wirklich hier?«
    »Ja, das war er«, bestätigte Myrrhine. »Du hast ihn beleidigt, und da hat er einen Blitz auf dich geschleudert. Ich hatte schreckliche Angst.«
    Euergetes holte tief Luft und roch dabei natürlich das Parfüm. »Was ist das für ein komischer Geruch?«
    »Also, das ist doch nicht zu fassen! Da hatten wir einen Gott im Haus, und du stellst mir solche Fragen!« beschwerte sich Myrrhine.
    Sofort taumelte Euergetes aus dem Zimmer, um die Vorbereitungen für ein Opfer zu treffen. Noch auf dem Sterbebett schwor er, Zeus mit eigenen Augen gesehen zu haben. Als seine Frau neun Monate nach diesem Vorfall einen Sohn bekam, gab es in ganz Athen keinen stolzeren Mann als Euergetes. Er nannte seinen Sohn Diogenes (der Name bedeutet ›Sohn des Zeus‹) und ließ auf die Wand des Innenraums seines Hauses eine Darstellung von Leda und dem Schwan malen, auf der Leda genau wie Myrrhine aussah. Leider hatte der Schlag auf den Kopf einen bleibenden Schaden verursacht, an dessen Folgen Euergetes kurz darauf starb. Aber selbst das hatte wahrscheinlich seine Vorteile, denn wie sich herausstellen sollte, hatte Myrrhines Sohn mit Zeus absolut nichts gemein.
    Selbst das Familienvermögen nahm seither immer weiter ab, bis Diogenes’ Söhne schließlich zu der Zeit, als ich mit einem von ihnen Bekanntschaft machte, gezwungen waren, für die Flotte zu rudern und auf der Richterbank zu sitzen. Nichtsdestotrotz kann man noch heute Überreste des Tempels sehen, den Euergetes auf seinem Land direkt vor Pallene für Zeus errichtet hatte. In meiner Kindheit war dieses

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