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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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antwortete ich. Das war zwar nicht die eleganteste Rede der Welt, aber ich fühlte mich zu erschöpft, um etwas anderes zu sagen.
    »Dann werde ich dein Stück lesen und darüber nachdenken«, entgegnete er, wobei er die Rolle von mir entgegennahm. »Natürlich wäre es für mich höchst unschicklich…«
    »Höchst unschicklich«, mischte sich Kleon ein. »Red nicht so verdammt geschwollen.«
    »…höchst unschicklich, dazu eine Bemerkung zu machen«, fuhr der Archon fort. »Aber wenn du einen geeigneten Chorlehrer kennst, dann würde es sich für dich vielleicht lohnen, ihm jetzt eine Abschrift zu geben. Die haben gerne Zeit, um die Tänze auszuarbeiten, habe ich recht?«
    »Eigentlich hätte ich Philonides, den Chormeister, aber…«, begann ich.
    »Na also, dann ist ja alles klar«, unterbrach mich der Archon. »Wenn der hinter dir steht, weiß ich nicht, warum du dir Sorgen gemacht hast, mir das Stück zu bringen.« Ein freches Grinsen huschte ihm über das Gesicht. »Wen sollen wir deiner Meinung nach zur Finanzierung des Stücks berufen, Eupolis, Sohn des Euchoros, aus dem Demos Pallene? Kleon hier ist reich genug dafür. Hast du Lust, Kleon?«
    Kleon lachte lauthals. »Wenn ich das täte, wäre das der Todeskuß für das Stück. Wem könnte man sonst noch das Leben schwermachen, Eupolis? Wie wäre es mit Nikias, Sohn des Nikeratos?«
    Der Archon gab ein eigenartiges Geräusch von sich und goß sich Wein über die Brust. »Du bist wirklich fies, Kleon«, sagte er. »Ich werde ihn morgen früh gleich als erstes zu mir kommen lassen.«
    »Nikias ist ein guter Mensch, hat aber keinen Humor. Überhaupt keinen«, erläuterte Hyperbolos, der (natürlich mit Ausnahme von mir) der einzige Anwesende mit einem ehrlichen Gesicht war.
    Dann verlangte jemand eine Zugabe, und diesmal übernahmen nicht nur Kleon, sondern auch Hyperbolos (der einen ausgezeichneten Schauspieler abgegeben hätte) und Kleonymos ihre eigenen Rollen, der Archon war der Chorführer, und wir gingen praktisch das ganze Stück noch einmal durch. Zwei meiner schön zurechtgemachten Schriftrollen wurden von oben bis unten mit Wein bekleckert und verdorben, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen gleichgültig; und ich glaube nicht, daß ich Ihnen erzähle werde, was wir mit den geschmackvollen Bronzezylindern gemacht haben.
    Etwa vier Stunden vor Tagesanbruch wünschte ich dem Archon und seinen Gästen eine gute Nacht und verabschiedete mich. Ich war sehr viel betrunkener als je zuvor in meinem Leben, und ich hatte keine wirkliche Vorstellung davon, wo ich hinging. Mir fiel die Fackel zu Boden, die man mir gegeben hatte, und sie erlosch, so daß ich eine Weile blindlings durch die Finsternis stolperte, bis ich irgendwann hinfiel. Inzwischen hatte ich keine Ahnung mehr, wo ich mich befand, was mir allerdings auch ziemlich schnuppe war. Mein Heerführer sollte inszeniert werden – mein Chor war so gut wie kostümiert und einstudiert, und ich konnte fast schon das Rumpeln der kleinen Holzräder hören, während sich die Trierenkostüme über die Orchestra des Dionysostheaters schoben. Ich stemmte mich aus der Pfütze hoch, in die ich gefallen war, und setzte meinen ziellosen Weg fort.
    Was als nächstes geschah, ist bis heute noch ziemlich unklar; irgend jemand versperrte mir den Weg und schlug mir mit einem Stock oder einem Knüppel auf den Kopf, während mir ein zweiter von hinten den Umhang von den Schultern riß und den Geldbeutel aus dem Gürtel zog. Ich stürzte mit voller Wucht auf die rechte Schulter und blieb reglos liegen, wobei ich erst gar nicht zu atmen versuchte.
    »Jetzt hast du’s geschafft, Orestes«, flüsterte der Mann hinter mir, und mir erstarrte das Blut in den Adern. Der Mann, der über mir stand, war, solange ich zurückdenken konnte, damals der gefürchtetste Räuber in Athen. »Du hast ihn umgebracht, ist dir das klar?«
    »Für den Kerl war der Schlag noch nicht mal hart genug«, antwortete Orestes lachend. »Komm, wir sollten lieber verschwinden.«
    Ich wartete, bis ihre Schritte verhallt waren, und versuchte dann, mich zu bewegen, es gelang mir aber nicht. Meine innere Stimme jammerte: »Das hast du nun von deinem übertriebenen Stolz, Eupolis, du Dummkopf! Du bist gelähmt. Man wird dich in einer Sänfte ins Theater tragen müssen.« Ich spürte, wie mir die Tränen über Nase und Wangen liefen, aber ich konnte die Hand nicht bewegen, um sie abzuwischen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dalag und mir kläglich selbst

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