Der Ziegenchor
ich den Namen eines anerkannten Dichters hörte, wurde ich von Haß erfüllt und stellte zu meiner eigenen Schande fest, daß ich die Götter anflehte, der eine oder andere von ihnen möge im Krieg fallen oder von der Pest dahingerafft werden. Wenn ich allerdings in der Stimmung war, meinen Heerführer eingehender zu betrachten – was ich für einen bescheidenen Menschen viel zu häufig tat –, konnte ich vom ersten Witz bis zum Abgang des Chors ganz ehrlich keine einzige Schwäche oder gar Unvollkommenheit darin entdecken. Wohingegen ich an anderen Tagen, zum Beispiel nach langem Ringen mit einer schwerfälligen Szene, arg bezweifelte, ob überhaupt jemals irgendein Mensch, wie geisteskrank er auch immer sein mochte, dazu gebracht werden könnte, über solch einen langweiligen Blödsinn zu lachen; es steckte nichts in dem Stück, was nicht schon hundertmal vorher hundertmal besser gemacht worden wäre. Um es kurz zu sagen: Es gab Tage, an denen ich das Stück liebte, und Tage, an denen ich es haßte, aber meine Gedanken kreisten immer darum. Es war die entscheidende Geschichte, auf die ich mich wirklich freuen konnte, doch zugleich war sie wie ein schrecklicher Schatten, der drohend über mir schwebte. Bei einem Erfolg des Stücks wünschte ich mir, am liebsten im selben Moment zu sterben, und falls es durchfallen würde, mich vom Turm im Töpferviertel zu stürzen und mit allem fertig zu sein.
Zu allem Unglück hatte mich Philonides, der Chorlehrer, nicht vergessen. Sie entsinnen sich vielleicht, daß er in jener Nacht auf Aristophanes’ Fest sein Interesse bekundet hatte. Eigentlich war ich davon ausgegangen, nie wieder etwas von ihm zu hören, doch sollte sich das als völliger Trugschluß herausstellen. Es wurde sogar ziemlich peinlich, denn anscheinend lief ich ihm überall über den Weg, und das nicht nur in der Stadt, sondern sogar auf dem Land, da er in Phrearrhos nicht weit von meinem Besitz ein Grundstück besaß. Außerdem schien ich ihm immer nachts auf dem Nachhauseweg zu begegnen, und bei jedem Zusammentreffen fragte er mich: »Hast du schon etwas für mich?«, und jedesmal antwortete ich: »Na ja, fast; aber es gibt noch ein paar Sachen, die ich glätten muß…« Aber das schien ihm nicht die Lust zu nehmen, sondern nur noch begieriger zu machen, und zum Schluß ging er sogar dazu über, in meinem Haus in der Stadt vorbeizuschauen, wo ihn Phaidra so herzlich wie einen von der Pest befallenen Bettler empfing.
Phaidras Widerwillen, einen meiner Bekannten im Haus zu haben, kann ich gut verstehen, da sie die langen Stunden unserer Ehe genauso erfolgreich ausfüllte wie ich, wenn nur die Hälfte der Gerüchte stimmte, die mir zu Ohren kamen. Ein Ehemann glaubt natürlich immer die Gerüchte, die sich um seine Frau ranken, auch wenn diese nur sehr selten der Wahrheit entsprechen. In Phaidras Fall waren aber derart viele in Umlauf, und alle hörten sich so glaubhaft an, daß selbst der ungläubigste Richter es schwierig gefunden hätte, sich davon nicht überzeugen zu lassen.
Über den Gedanken, mich vielleicht von Phaidra wegen Ehebruchs scheiden lassen zu können und sie für immer los zu sein, war ich zunächst überglücklich. Ich erinnere mich, wie ich zu Hause in Pallene oder in Philodemos’ Haus Witze darüber machte; wir tranken auf meinen Erlöser, als wäre er ein neuer Solon, der zur Befreiung der Sklaven gekommen war, und paßten daran den Text der Harmodioshymne an. Aber irgendwie konnte ich mich nie dazu aufraffen, in dieser Sache etwas zu unternehmen, obwohl Philodemos und Kallikrates mir anboten, den Prozeß für mich durchzufechten.
»Um Himmels willen, Junge!« ermahnte mich Philodemos immer wieder. »Das ist wie ein Geschenk vom Olymp, und du sitzt nur dumm rum und tust nichts. Falls dir der Verlust der Mitgift Sorgen macht, die laut Gesetz bei einer Scheidung an Phaidra zurückübertragen werden müßte, so habe ich bereits mit der Hälfte der Anwälte in Athen gesprochen, und die meinen…«
Aber ich schüttelte jedesmal nur den Kopf und wechselte das Thema, und nach einer Weile hörten beide auf, sich darüber Gedanken zu machen. Sie hielten mich einfach für verrückt oder zumindest für einen aussichtslosen Fall; vielleicht warteten sie aber auch nur darauf, daß Phaidra schwanger werden würde und ich gezwungen wäre, etwas zu unternehmen. Ich konnte mein Verhalten selbst nicht ganz verstehen und wußte nur, daß es etwas war, das nächste Woche erledigt werden mußte,
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