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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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Verhörspezialisten ohne größeren Blutverlust. Das wird nicht in Deutschland gemacht, nicht von deutschen Beamten – entsprechende Vorwürfe konnten jedenfalls nicht bewiesen wurden. Aber als Teil der westlichen Wertegemeinschaft obliegt es uns, darüber zu reden.
    Dies ist ein Punkt, an dem der Westen seine Geschichte und Ideale verrät und aus einer Mischung aus Zögern, Unsicherheit und Bequemlichkeit einmal Erreichtes wieder aufgibt. Die Öffentlichkeit hat diese gut dokumentierten Entwicklungen ohne größere Aufregung zur Kenntnis genommen, die Angst vor einem Terrorangriff sitzt tief. Aber Folter macht uns nicht sicherer, auch das hat Montaigne schon gewusst.
    In dem bemerkenswerten Roman »Limassol« des israelischen Autors Yishai Sarid ist der Protagonist ein Beamter des Geheimdienstes, der mit der Vernehmung von möglichen Zeugen betraut ist. Die ist längst zu einer stumpfen und brutalen Routine geworden: fesseln, bedrohen, die Familie bedrohen und oft genug auch Schläge. Er schreit die Männer an, die gar nicht selbst beschuldigt sind, sondern vielleicht etwas wissen könnten über einen Selbstmordattentäter: »Du dachtest, wir machen so was nicht? Wir sind längst genau so wie ihr.«
    Man kann diese Szene getrost vom lokalen Kontext lösen, der Satz bleibt wahr: Der Unterschied zwischen den westlichen Staaten und den Gaunerstaaten bei der Behandlung verdächtiger Personen und der Überwachung von allem und jedem ist kaum noch zu erkennen.
    Wir erlebten auch eine dramatische Ausweitung der Geheimdienstbranche und zwar in jeder Hinsicht. Ganz praktisch schon in ihrer Anzahl: Eine Recherche der »Washington Post« vor einigen Jahren ergab, dass der Öffentlichkeit nur ein Teil der Dienste überhaupt bekannt ist. Es gibt Geheimdienste in allen Waffengattungen des Militärs und Geheimdienste der Geheimdienste. Die Zahl der dort Beschäftigten lässt sich nur schätzen, aber sie ist ebenso beachtlich wie die Größe der von solchen Stellen als geheim eingestuften Flächen und Gebäude. Die parlamentarische und richterliche Kontrolle ist dort kaum möglich, auch gar nicht erwünscht.
    Und dann wurde in diesem Jahr durch die Aufklärung Edward Snowdens deutlich, wie sehr die Digitalisierung den Interessen der Dienste entspricht. Ihr Zugriff auf Mails, Datenverkehr und Telefonate ist nahezu unumschränkt. Und, das ist das Frappierende an den Aktionen, sie tun es nicht verschämt oder besonders heimlich, wie man es noch aus den Zeiten der Abhörskandale kannte. In den Snowden-Dokumenten fand sich auch der stolze Bericht des britischen Geheimdienstes über die Aktionen, die während des G- 20 -Gipfels in London im März 2009 durchgeführt worden waren. Dort ist zu lesen, dass die Verbindungsdaten der Gipfelteilnehmer, also der Regierungschefs der G- 20 -Länder und ihrer Minister, auf einer 40  Quadratmeter großen Videoleinwand dargestellt wurden, in Echtzeit. Und ein früherer NSA -Chef ließ sich seinen Arbeitsplatz nach dem Vorbild der Kommandobrücke des Raumschiffs Enterprise anfertigen. Sie rufen »Auf den Schirm!« und spielen Zukunft. Und nun, da diese Dinge enthüllt wurden, müssen die Enthüller das Gefängnis fürchten, nicht die, die das von den Bürgern in sie gesetzte Vertrauen missbrauchten.
     
    Diese Entwicklungen haben den Rechtsstaat, wie er sich in der Nachkriegszeit entwickelt hat und behaupten konnte, unterhöhlt. Mehr und mehr sehen die Deutschen die Welt als Arena, in der robuste und rohe Kräfte walten, wie sie möchten, ohne große Rücksicht auf die Gesetze von Staaten, die sich ständig schwächer machen, als sie sind. Und das gilt nach wie vor auch in Bezug auf die großen Finanzinstitutionen, die auch fünf Jahre nach der Krise kaum reguliert sind und immer noch über ein großes Erpressungspotential verfügen.
    Es stellen sich also besorgniserregende und brisante Fragen zu unserer Identität, in nahezu allen Bereichen. Gilt wieder das Recht des Stärkeren oder bestehen wir auf der zivilisatorischen Einhegung der Kräfte? Sind wir eine objektiv alternde Gesellschaft oder eine, die sich bloß alt und schlapp fühlt?
    Man fragt sich das auch auf einem Feld, das in diesem Wahlkampf ebenfalls völlig unberücksichtigt blieb, der Kultur. Im Bewahren und Restaurieren sind wir groß, im Feiern von zahlenmystisch überhöhten Jahrestagen und im Gedenken, aber die neu errichteten Gebäude, die neu gestalteten urbanen Flächen sind von erdrückender Mutlosigkeit. Und so geht es zu in

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