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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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ist Steinbrücks alter Wahlkreis.
    Ich begrüße, wenige Wochen nach dem eigentlich gut verlaufenen Nominierungsparteitag in Hannover, einen Zombie. Peer Steinbrück ist da bereits ein politischer Wiedergänger. Er ist gestorben. Erledigt und fertiggemacht von der größten und unwiderstehlichsten Kraft, die es in seinem politischen Biotop gibt, von sich selbst.
    Der Parteitag in Hannover hatte die Wende bringen, die Debatte um die Vortragstätigkeiten beenden sollen. Steinbrück hielt eine große Rede, persönlich, witzig und voller Demut und Dankbarkeit für die Solidarität der Partei während der Debatte um seine gutbezahlten Vortragstätigkeiten. Einen Augenblick konnte man sogar die Führungsfrage für gelöst halten; das war, als Steinbrück dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel dankte und der Tränen in den Augen hatte. Wer für geleistete Arbeit dankt, muss der Chef sein, dachte man. Beim Verlassen der Messehalle gab es ein kleines Schneetreiben. Das Expo-Gelände war groß und schlecht beschildert, jedenfalls lief ich einer Gruppe von Genossen nach, die eine entlegene U-Bahn-Station ansteuerten, aber das merkte ich zu spät. Die Stimmung in der Bahn war grandios. Dies war nun schlagartig die Kanzler-U-Bahn, ohne Halt würden wir von Hannover Messe bis ins Berliner Regierungsviertel fahren. Doch die Bahn fuhr nicht los. Zwei ältere behinderte Männer gerieten in einen Streit über die Qualität einer Pflegeeinrichtung. Die Bahn stand lange, die Gespräche der anderen Genossen ebbten ab, die beiden Männer waren jetzt sehr deutlich zu hören. Viel zu deutlich. Ein höherer Funktionär oder Mandatsträger, der eben noch mit den beiden geplaudert hatte, blickte nun angestrengt in eine ganz andere Richtung. Einer der beiden brüllte fast: »Als ich mich vollgepisst hatte, haben sie mich nackt in die Badewanne gelegt und da bis zum Morgen liegen lassen.« Schweigen des ganzen Waggons bis zum Hauptbahnhof Hannover. Zu viel Sozialprosa und eine U-Bahn, die ohne Ansage, ohne Grund nicht losfährt, so endete der Tag des triumphalen Aufbruchs.
    Peer Steinbrück hatte bald darauf sein Schicksal mit einem Interview in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« besiegelt. Das Gespräch führten Kollegen des politischen Ressorts, ich habe aus den Vorabmeldungen davon erfahren und es am Erscheinungstag gelesen. Steinbrück kam dort, neben vielen anderen Themen, auch auf das Gehalt des Bundeskanzlers zu sprechen und erklärte: »Ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin verdient in Deutschland zu wenig – gemessen an der Leistung, die sie oder er erbringen muss, und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.«
    Das hatten die Kollegen aufgegriffen, in einer Vorabmeldung verbreitet und auf die Titelseite gehoben. Es war einer jener Sätze, von denen sich ein deutscher Politiker gewöhnlich nicht erholt oder für die er lange, lange zahlt. Vergleichbar ist der Satz von Oskar Lafontaine, mit »Sekundärtugenden« wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit könne man »auch ein KZ betreiben«. Dieser Satz wurde ihm von Helmut Schmidt und seinen Anhängern, also einer breiten Mehrheit des deutschen Bürgertums linksliberaler Observanz, nie verziehen. Damit kostete er ihn die strategische Mehrheitsfähigkeit, Oskar blieb seitdem immer ein Kandidat, der es nur einer Minderheit recht machen kann. Denn die Sekundärtugenden sind ja auch die deutschen Tugenden. Der Satz suggerierte einen Konnex zwischen kultureller Identität und den Verbrechen des Nationalsozialismus und markierte die Stellung des Sprechenden als ganz klar außerhalb der großen nationalen, auch schuldbeladenen Traditionsströmung. Er identifizierte ihn als linken, westrheinischen, ja kosmopolitischen Moralisten, der den Krieg nicht »eine große Scheiße« nennt, sondern ein von identifizierbaren, zahlreichen Personen begangenes Verbrechen. Und der keinen Trost gelten lässt, nicht mal den, beim Morden wenigstens anständig, sauber und pünktlich geblieben zu sein. Die historische Forschung würde Lafontaine eher recht geben, die Öffentlichkeit von damals hat ihn dafür ausgegrenzt.
    Geld und Hitler, das sind die Bezüge, die deutsche politische Karrieren schlagartig beenden können. Erst in den letzten Jahren ist noch das akademische Plagiat hinzugekommen.
    Worin lag das Problem dieser Aussage Steinbrücks, die ja so schon von vielen Politikern gemacht worden war? Steinbrücks Feststellung war banal.

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