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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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gestürzt, weder vorher noch nachher etwas Verdacht Erregendes, welche Beweise hätte ich denn?
    »Jemand hat eine Bemerkung gemacht.«
    »Sie wissen doch, wie so ein Dorf ist. Oder vielleicht wissen Sie es nicht. Was war das für ein Jemand?«
    »Ach, irgendjemand.«
    »Halten Sie Ihre Mutter für eine Frau, die Ihren Vater misshandeln würde?«
    Misshandeln, misshandeln. Warum nicht zusammenschlagen, verdreschen, ihm eine schwere Bratpfanne auf den Kopf hauen? »Ich weiß es nicht. Woran erkennt man das?« Muss man den Namen des Herstellers in Spiegelschrift auf der Haut meines Vaters sehen können?
    »Natürlich hängt alles davon ab, welche Angaben der Patient macht. Es sei denn, ein Angehöriger meldet einen Verdacht. Möchten Sie das tun?«
    Nein. Ich denunziere nicht meine achtzigjährige Mutter wegen mutmaßlichen tätlichen Angriffs auf meinen einundachtzigjährigen Vater auf Grund der bloßen Behauptung einer Frau von Mitte sechzig, die möglicherweise mit meinem Vater schläft. »Nein«, sagte ich.
    »Ich habe Ihre Eltern nicht oft zu sehen bekommen«, fuhr die Ärztin fort. »Aber es sind doch …« Sie hielt inne, um den korrekten Euphemismus zu finden. »… es sind doch gebildete Leute?«
    »Ja«, antwortete ich. »Ja, mein Vater hat vor sechzig – über sechzig – Jahren Bildung erworben, und meine Mutter auch. Das ist ihnen sicher sehr zustatten gekommen.« Immer noch wütend fügte ich hinzu: »Übrigens, verschreiben Sie auch Viagra?«
    Sie sah mich an, als sei ihr jetzt klar, dass ich nur Ärger machen wollte. »Dafür müssen Sie sich an Ihren eigenen Arzt wenden.«
    Als ich ins Dorf zurückkam, fühlte ich mich plötzlich so deprimiert, als wohnte ich selbst dort und hätte sie schon satt, diese Kreuzung, die sich für etwas Besseres hielt mit ihrer toten Kirche, ihrem brutalen Buswartehäuschen, ihren Bungalows im Landhaus-Stil und ihrem überteuerten Laden, der gut ist für das Nötigste. Ich lenkte meinen Wagen auf den Asphaltstreifen, der hier hochgestochen Einfahrt heißt, und sah meinen Vater hinten im Garten in dem Obstbaumkäfig arbeiten, wo er Drähte bog und verband. Meine Mutter erwartete mich schon.
    »Joyce Royce, dieses Miststück, na ja, sie haben einander verdient. Einer so dumm wie der andere. Das vergiftet mir natürlich das ganze Leben.«
    »Ach, hör schon auf, Mum.«
    »Komm mir nicht mit ›hör schon auf‹, junger Mann. Wart ab, bis du in meinem Alter bist. Vorher steht dir das nicht zu. Es vergiftet mir das ganze Leben.« Sie duldete keinen Widerspruch; auch sie machte wieder ihre elterliche Autorität geltend.
    Ich schenkte mir eine Tasse Tee aus der Kanne neben der Spüle ein.
    »Der hat zu lange gezogen.«
    »Ist mir egal.«
    Dann folgte ein bedrückendes Schweigen. Wieder kam ich mir vor wie ein Kind, das Anerkennung sucht oder sich jedenfalls keinen Tadel zuziehen will.
    »Erinnerst du dich noch an den Thor, Mum?«, sagte ich plötzlich zu meinem eigenen Erstaunen.
    »Den was?«
    »Den Thor. Als wir noch klein waren. Wie der über den ganzen Küchenboden gewandert ist. Hatte seinen eigenen Willen. Und er ist ständig übergelaufen, nicht wahr?«
    »Ich meine, das war der Hotpoint.«
    »Nein.« Auf einmal war mir merkwürdig verzweifelt zumute. »Den Hotpoint hattest du später. Ich erinnere mich nur an den Thor. Der hat furchtbar gerattert und hatte dicke, beigefarbene Schläuche für das Wasser.«
    »Der Tee muss ja ungenießbar sein«, sagte meine Mutter. »Und übrigens, schick mir diese Landkarte zurück, die ich dir gegeben habe. Nein, schmeiß sie einfach weg. Die Isle of Wight, du Schafskopf. Alles nur Brimborium. Verstanden?«
    »Ja, Ma.«
    »Falls ich vor deinem Vater sterbe, was zu erwarten ist, dann will ich, dass du mich einfach verstreust. Irgendwo. Oder lass das vom Krematorium besorgen. Du bist ja nicht verpflichtet, die Asche abzuholen.«
    »Ich bitte dich, red nicht so.«
    »Er wird mich überleben. Die Tasse mit dem Sprung hält schließlich am längsten. Soll doch die Sprechstundenhilfe seine Asche haben.«
    »Red nicht so.«
    »Kann sie sich auf den Kaminsims stellen.«
    »Hör zu, Ma, falls es so kommen sollte, ich meine, falls du vor Dad sterben solltest, hätte sie sowieso kein Recht darauf. Es wäre allein meine Sache, meine und Karens. Elsie hätte damit gar nichts zu tun.«
    Meine Mutter verspannte sich, als sie den Namen hörte. »Bei Karen ist Hopfen und Malz verloren, und dir kann ich auch nicht mehr trauen, stimmt’s, mein

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