Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
Halle, fragte sich die junge Dyrierin, welche Nachrichten der Priester des Albus Sunaş wohl aus Turduj mitgebracht haben mochte. Vielleicht noch keine Kriegserklärung. Aber zumindest wird der neue Marczeg der Masriden Wlachkis nicht gerade mit Freundschaftsbeweisen überhäuft haben. Sonst würde der Voivode weniger besorgt wirken.
Ionnis stieß sie leicht mit dem Ellbogen an. »Ich frage mich, ob es Neuigkeiten von Ana gibt«, flüsterte er. »Und darüber, ob die Masriden wohl eine halbe Wlachakin als Thronfolgerin anerkennen werden.«
Artaynis erwiderte darauf nichts. Sie war mit Ardoly und der dortigen Politik nur oberflächlich vertraut und konnte die dort herrschenden Machtverhältnisse nur schwer einschätzen.
Als sie endlich in der Halle ankamen, sah die Dyrierin, dass die meisten Mitglieder des Rates bereits versammelt waren. Nur einige wenige Männer und Frauen kamen noch mit ihnen gemeinsam an. Viele der Gesichter hatte Artaynis schon in der Nacht gesehen, als die Trolle in Teremi eingetroffen waren, doch sie erinnerte sich längst nicht mehr an alle Namen. Der alte Geistseher Vintila war natürlich anwesend, Riclea, Ştens engste Beraterin, und viele der wlachkischen Adeligen, die in den letzten Wochen in die Hauptstadt gekommen waren. Aber auch viele der Händler und Handwerker, die eine Stimme im Rat Şten cal Dabrâns hatten, waren gekommen, und so war der Raum mit Menschen gefüllt.
Der Voivode nahm seinen angestammten Platz an der Stirnseite der Tafel ein, und Ionnis belegte den Platz zu seiner Rechten. Zu Artaynis’ Überraschung deutete Şten auf den Platz zu seiner Linken und forderte sie mit einem Nicken auf, sich dorthin zu setzen. Sie war sich der Ehre, die er ihr damit erwies, voll bewusst und verbeugte sich erst tief vor dem wlachkischen Herrscher, bevor sie seiner Aufforderung nachkam. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, dass Ionnis lächelte. Vor Stolz?, schoss es ihr durch den Kopf, aber dann wurden ihre Gedanken von Cornels Anblick eingenommen, der soeben den Saal betrat und zu einem Stuhl in der Mitte des Tischgevierts ging.
Der Sonnenpriester sah aus, als habe er die Strecke von Turduj in einem scharfen Ritt ohne Pause bewältigt. Seine Kleidung war schmutzig, seine Stiefel mit Schlamm verkrustet. Selbst in seinen kurzen, dunklen Haaren konnte sie den Staub der Straße erkennen. Er war wohl nicht dazu gekommen, seinen Schädel neu zu rasieren. Sein Gesicht zeigte deutliche Spuren der Müdigkeit. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, auf seinen Wangen zeigte sich Bartwuchs, und er bewegte sich so vorsichtig, als ob er verwundet sei. Er wirkte älter als vor seinem Aufbruch nach Turduj, als hätten die wenigen Tage ihn um Jahre altern lassen.
Schließlich ließ er sich mühsam auf dem vorbereiteten Platz nieder. Şten wartete ab, bis Ruhe im Saal eingekehrt war. Dann erhob er sich und sagte mit lauter Stimme: »Cornel, Ihr habt mir berichtet, dass es in Turduj bis vor Kurzem drei Anwärter auf die Würde des Marczegs gab. Ist das richtig?«
Mit angespannter Miene nickte der Sonnenpriester. »Ja, Herr, das ist richtig. Bis Vikolyi Arkós feige ermordet wurde, gab es drei Männer, die glaubten, ein Anrecht auf den Thron Ardolys zu besitzen. Jetzt sind es nur noch zwei.«
»Und welche zwei wären das?«, fragte der Voivode. Weder seine Stimme noch sein Gesicht zeigte eine Regung, doch Artaynis konnte erkennen, dass die Kraft, mit der er die Hände zu Fäusten ballte, auch dazu diente, seine Anspannung zu verbergen.
»Tiradar und Sziglos Békésar, beides Vettern des toten Marczegs.«
»Das bedeutet, dass die Masriden nicht daran denken, Nemes Ana den ihr rechtmäßig zustehenden Platz einzuräumen, nicht wahr?« Vintila hatte sich gleichfalls erhoben und wies mit vor Zorn zitternder Hand auf den Sonnenpriester. »Weder die Familie Békésar noch Euer Orden halten sich an die heiligen Gesetze des Landes. Der Geist von Flores cal Dabrân wandelt noch nicht lange auf den Dunklen Pfaden, und schon spucken sie auf das Andenken der Bojarin!«
Das entrüstete Murmeln und die geflüsterten Flüche, die seinen Worten folgten, zeigten deutlich, dass viele im Saal dem Geistseher zustimmten.
Cornel blickte den Alten direkt an. »Ich muss Euch recht geben. In Turduj wird nicht von Ana Békésar gesprochen, wenn es um die Thronfolge geht.«
Vintila schnaubte verächtlich, als Cornel Ana den Namen ihres Vaters gab.
»Und welche Pläne haben die beiden anderen Békésars?«,
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