Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
unter Kontrolle, und seine Augen waren kühl.
»Vater«, sagte Ionnis leise. »Wenn es wirklich zu einem Krieg mit Ardoly kommt, dann muss Natiole zu uns zurückkehren. Und jemand muss ihn warnen, damit er den Masriden und ihren sylkischen Schergen nicht direkt in die Arme läuft.«
»Ich weiß«, antwortete Şten gepresst. »Nati und die Trolle müssen davon erfahren, was mit Tamár und Flores geschehen ist. Am liebsten würde ich selbst gehen. Aber das kann ich nicht, dreimal verflucht.«
»Ich könnte ihn holen«, schlug Ionnis vor.
Der Voivode sah ihn mit einem Blick an, der nur für seinen Sohn bestimmt war und Artaynis zu Boden schauen ließ.
»Dir geht es noch nicht gut genug. Und außerdem – gerade, wenn es Krieg gibt, kann ich nicht auf euch beide verzichten. Ionnis, das Land braucht einen Erben, wenn ich falle. Ich brauche dich hier, Ionnis.«
»Vater …«
Dem jungen Wlachaken fiel es sichtlich schwer, etwas darauf zu erwidern, und die Dyrierin wünschte sich, sie hätte die Halle mit den Ratsmitgliedern verlassen.
»Welchen Wlachaken kann ich denn überhaupt schicken?«, unterbrach Şten ihn. »Die Grenzen sind nicht mehr sicher. Und wenn ich einen offiziellen Boten schicke,
mache ich die Masriden nur auf Natiole aufmerksam. Ihn gefangen zu nehmen wäre ein zu gutes Druckmittel für die Kriegstreiber in Turduj.«
Artaynis schloss die Augen. Sie konnte erkennen, dass der Voivode recht hatte. Er konnte kaum einen wlachkischen Boten durch Feindesland reisen lassen. Der Erköl-Pass war der einzig gangbare Weg durch die Nördlichen Sorkaten. Und der Weg zum Pass führte durch Ardoly, wo nun die Masriden mit Adleraugen auf alle Reisenden blicken würden. Aber eine Fremde hätte es sicher leichter, Ardoly zu durchqueren, ohne Verdacht zu erwecken. Und ihr Vater würde gewiss dringend zu erfahren wünschen, dass ein neuer Krieg im Land zwischen den Bergen auszubrechen drohte. Artaynis’ Augen wanderten zu Ionnis, und sein Anblick versetzte ihrem Herzen einen Stich.
»Ich könnte gehen«, meinte sie schlicht, und ein Teil von ihr war beinahe ebenso überrascht wie die beiden Männer, als sie es aussprach. »Ich könnte gewiss ohne große Schwierigkeiten nach Colchas und zu Eurem Sohn gelangen.«
Zu ihrer Überraschung sprang Ionnis auf. »Das meinst du nicht ernst, oder? Du willst allein die Sorkaten überqueren, um Natiole in Dyrien zu erreichen?«
»Ionnis, vielleicht hat sie …« Doch weiter kam Şten nicht. Der junge Wlachake verneigte sich vor seinem Vater und der Dyrierin, als er seinen Vater unterbrach: »Wenn der Voivode ebenfalls dieser Meinung ist, dann werde ich hier wohl nicht mehr gebraucht.«
Er verließ den Saal, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Nachdem sie eine lange Weile geschwiegen hatten, erhob sich Şten schließlich.
»Würdet Ihr einen kleinen Spaziergang mit mir machen?«, fragte er. Artaynis nickte und folgte ihm hinaus.
Von den Zinnen der Feste Remis blickten sie schweigend
auf die Stadt hinab, die sich unter ihnen ausbreitete. Es war klar, und ein kühler Wind wehte von den hohen Bergen. Der Geruch nach verbranntem Laub und Holz lag in der Luft.
»Ihr wisst, dass ich diese Reise niemals von Euch fordern würde«, begann der Voivode endlich das Gespräch.
»Natürlich. Aber wenn Ihr darüber nachdenkt: Fällt Euch eine Lösung ein, die besser wäre? Oder auch nur dem nahe käme? Ich kann es mir nicht vorstellen. In diesem Fall bin ich die perfekte Botin.«
Şten nickte zögernd.
Artaynis atmete tief ein und wandte der nächtlichen Stadt den Rücken zu, um ihr Gegenüber ganz anzusehen.
»Aber wenn ich nach Colchas reise und meinem Vater die Nachricht überbringe, dass es Krieg zwischen Ardoly und Wlachkis geben wird, was meint Ihr, was dann geschieht?«
»Noch wissen wir nicht, ob es Krieg geben wird«, erwiderte Şten sanft. »Noch ist es nur eine Gefahr, auch wenn ich diese nicht unterschätzen will. Aber vielleicht kommen die Masriden noch zur Vernunft, und dieser Sziglos wird niemals Marczeg.«
»Vielleicht«, antwortete Artaynis, und sie konnte selbst hören, dass ihre Stimme bitter klang. »Doch selbst wenn es so wäre, glaube ich nicht, dass mein Vater mich hierher zurückkehren lässt. Er wird wollen, dass ich im Imperium bleibe, bis er eine andere Aufgabe für mich gefunden hat.« Sie schluckte. »Ionnis weiß das auch«, fügte sie dann leiser hinzu.
»Und würdet Ihr gern nach Wlachkis zurückkehren, Artaynis?«, erkundigte sich der
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