Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
Gäste ihre Becher auf den Gastgeber erhoben. Artaynis sah, dass Ionnis seinen Vater anlächelte, während Natiole die schwarzen Brauen zusammengezogen hatte.
»Greift zu!«, beendete Şten seine kurze Ansprache.
Das ließ sich niemand zweimal sagen, und schon bald versank der Raum in der geschäftigen Stille vieler Essender.
Neben sich spürte Artaynis, wie der Sonnenmagier erleichtert aufatmete und sich seinem Mahl widmete. Für einen Moment war sie versucht, weiterzureden, doch dann gestand sie ihm einen Augenblick des Friedens zu. Das Essen war nach ihren Maßstäben einfach, aber dennoch schmackhaft. Die Wlachaken schienen pure Masse der Qualität vorzuziehen, aber hier und da in dem reichhaltigen Angebot von Wildbret, Gemüse und Obst fand sogar sie Köstlichkeiten für ihren anspruchsvollen Gaumen. Bislang hatten sich die düsteren Prophezeiungen ihres Vaters bezüglich der ungenießbaren Nahrung in Teremi nicht bewahrheitet, und sie fragte sich, ob er sie damit nur geneckt hatte oder ob sich die Dinge seit seiner Zeit in Wlachkis so verändert hatten. Während sie noch darüber nachdachte, kam Ionnis zu ihr geschlendert, in der Hand eine kleine, irdene Schüssel.
»Ich habe Vater darum gebeten«, erklärte er geheimnisvoll. »Ich war mir nicht sicher im Hinblick auf die Zubereitung, aber ich denke, der Koch und ich haben es hinbekommen.«
Mit einer vergnüglichen Mischung aus Triumph und Unsicherheit bot er ihr die Schale an.
»Kandierte Früchte«, erkannte Artaynis und musste unwillkürlich lächeln. Tatsächlich glänzten appetitanregend angerichtete Stückchen Obst in der Schale.
»Ich habe mich erinnert, dass du früher ganz versessen darauf warst. Natürlich sind es keine Feuertrauben oder dergleichen«, fügte er hastig hinzu, wie um sich schon im Voraus zu entschuldigen.
»Das ist sehr aufmerksam. Ich muss gestehen, dass ich meine Vorliebe für Naschereien nie wirklich ablegen
konnte.« Sie warf einen koketten Blick an ihrem Leib hinunter. »Obwohl es einer Frau in meiner Stellung natürlich nicht ziemt, hoffe ich doch, dass man es mir noch nicht ansieht. Darf ich?«
Freudestrahlend nickte Ionnis, und sie pickte ein kleines Stück hellgrüner Frucht heraus. Obwohl es ein wenig sauer war, gab sie sich alle Mühe, entzückt zu wirken. Das Obst mag sauer sein, aber der Gedanke ist süß.
»Was ist das?«
Unbemerkt hatte sich Natiole zu ihnen gesellt.
»Kandierte Früchte«, erklärte Ionnis. »Möchtest du probieren?«
Als hätte ihm sein Bruder einen Käfer zum Essen angeboten, verzog der Kronprinz das Gesicht. »Nein. Ich bleibe bei Fleisch und Wein. Aber vielleicht will Cornel ja den Beweis deiner Kochkünste probieren? Wie schaut es aus, Priester? Reichen die Fähigkeiten meines Bruders aus, um vielleicht einmal Küchenmeister zu werden?«
»Danke, Nemes, aber auch mir genügt mein Mahl«, erwiderte der Angesprochene, was Natiole amüsiert schnauben ließ. »Was haben heute bloß alle mit diesem dämlichen ›Nemes‹?«, fragte er, wandte sich aber ab, ohne auf eine Antwort zu warten.
Verwirrt blickte Artaynis Ionnis an, der nur mit der Schulter zuckte. Der jüngere Bruder reichte ihr die Schale und lief rasch hinter Natiole her.
Während Artaynis langsam Stück für Stück des Naschwerks aß, beobachtete sie den leisen, aber nichtsdestotrotz heftigen Streit der beiden Prinzen mit aller Aufmerksamkeit.
5
W ährend Kerr und Zran eine Handvoll Leuchtflechten mit sich trugen, um sich im endlosen Labyrinth der Gänge zu orientieren, zog Wrag die Dunkelheit vor. Kerr wusste nur zu gut, dass dies ein Teil von Andas Erbe war. Anda war einst eine Trollin wie andere auch gewesen, aber die Veränderungen, die sie über ihre Kinder gebracht hatte, waren nur allzu deutlich und machten es Kerr zuweilen schwer, von ihnen überhaupt als Trollen zu denken. Eine dieser Veränderungen war eine Abscheu gegen jedes Licht, selbst das schwache Glimmen der Flechten. Und so verschwand Wrag immer wieder in den Schatten um sie herum, lief ihnen voraus, um den Weg zu erkunden, und hielt sich stets am Rand des Lichtscheins.
Die Dunkelheit hielt für Andas Kind keine Geheimnisse bereit; der Herzschlag des Landes echote durch den Stein und würde in Wrags Geist ein deutliches Bild ihrer Umgebung zeichnen. Auch Kerr vernahm den Herzschlag, den Dreeg, deutlicher als die übrigen Trolle, da er sich einst dem Einfluss des Dunkelgeists für wenige Augenblicke ganz ausgesetzt hatte. So konnte er auch in absoluter
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