Der Zug war pünktlich
man sie auf Gräber setzt, und er denkt, das wird meine Henkersmahlzeit. Willi führt sie in eine Nische, vor die man einen Vorhang ziehen kann, und da sind wieder Sessel und ein schöngedeckter Tisch, und alles ist wie ein Traum. Habe ich nicht soeben noch unter dem Schild gestanden, wo schwarz auf weiß zu lesen war: Lemberg?
Kellner! Ein eleganter polnischer Kellner mit glänzenden Schuhen und fabelhaft rasiert und grinsend, nur sein Rock ist ein wenig beschmiert. Alles grinst hier, denkt Andreas. Der Rock des Kellners ist ein wenig beschmiert, aber das macht nichts, Schuhe hat er wie ein Großfürst und rasiert ist er wie ein Gott … blankgewichste schwarze Halbschuhe …
»Georg«, sagt Willi, »die Herren möchten sich waschen und rasieren.« Es ist wie ein Befehl. Nein, es ist ein Befehl. Andreas muß lachen, als er dem ewig grinsenden Kellner folgt. Es ist ihm, als sei er bei einer sehr vornehmen Großmutter oder bei einem sehr vornehmen Onkel eingeladen, und der Onkel hätte gesagt: Unrasierte oder ungewaschene Kinder dürfen sich nicht zu Tisch setzen …
Der Waschraum ist großzügig, sauber. Georg bringt hei-
ßes Wasser. »Wenn die Herren Toilettenseife wünschen, ausgezeichnete Qualität, fünfzehn Mark,« – »Bringen Sie«, sagt Andreas lachend, »Papa bezahlt alles.«
Georg bringt die Seife und wiederholt grinsend: »Papa bezahlt.« Auch der Blonde wäscht sich; sie machen den Oberkörper frei, seifen sich ganz ein, reiben sich wollüstig trocken, die Arme und die ganze gelblichweiße, ungelüfte-te Soldatenhaut. Es ist ein Glück, daß ich meine Socken 84
mitgebracht habe, denkt Andreas, ich werde mir auch die Füße waschen, und ich kann die sauberen Socken anzie-hen.
Socken sind sicher teuer hier, und warum soll ich die Socken in der Packtasche lassen. Die Partisanen haben sicher Socken. Er wäscht sich die Füße und lacht über den Blonden, der ein erstauntes Gesicht macht. Der Blonde träumt wirklich.
Es ist schön, glattrasiert zu sein, so glatt wie ein Pole, und es ist nur schade, daß ich morgen früh wieder einen Stoppelbart haben werde, denkt Andreas. Der Blonde braucht sich nicht zu rasieren, er hat kaum Flaum über den Lippen. Zum ersten Male fragt sich Andreas, wie alt der Blonde wohl sein mag, während er sein schönes sauberes Hemd anzieht, mit einem richtigen Zivilkragen, so daß er die blödsinnige Kragenbinde weglassen kann; ein blaues Hemd, das einmal ganz dunkel war, jetzt aber himmelblau ist. Er knöpft es zu und zieht den Rock darüber, den sehr verschlissenen grauen Rock mit dem Verwundetenabzeichen. Vielleicht ist das Verwundetenabzeichen aus des Blonden vaterländischer Fahnenfabrik, denkt er. Ach, er wollte ja darüber nachdenken, wie alt der Blonde sein mag. Einen Bart hat er nicht, aber Paul hat auch keinen Bart, und Paul ist sechsundzwanzig. Der Blonde könnte siebzehn und auch vierzig sein, er hat ein seltsames Gesicht, er ist sicher zwanzig. Gefreiter ist er auch schon, ein Jahr Soldat oder fast zwei. Zwanzig – einundzwanzig, schätzt Andreas. Gut. Rock an, Kragen zu, es ist wirklich schön, sauber zu sein.
Nein, sie finden allein in die Nische zurück. Im Restaurant sitzen jetzt ein paar Offiziere, die sie grüßen müssen.
Das ist schrecklich, Grüßen, Grüßen ist furchtbar, und es 85
ist schön, wieder in der Nische geborgen zu sein.
»So gefallt ihr mir, meine Kinder«, sagt Willi. Willi trinkt Wein und raucht eine Zigarre dazu. Der Tisch ist schon gedeckt, allerlei Teller, Gabeln, Messer und Löffel.
Georg bedient lautlos. Erst kommt eine Suppe. Bouillon, denkt Andreas. Er betet leise und lange, die andern essen schon, und er betet immer noch, und es ist merkwürdig, daß sie nichts sagen.
Nach der Bouillon gibt es etwas Ähnliches wie Kartoffelsalat, nur ein ganz klein wenig. Dazu Aperitif. Wie in Frankreich. Dann kommen mehrere Fleischgerichte. Erst ein deutsches Beefsteak … dann kommt etwas ganz Komisches. »Was ist das?« fragt Willi hoheitsvoll, aber er lacht dabei.
»Das?« Georg grinst. »Das ist Schweineherz … gutes Schweineherz …« Dann kommt ein Kotelett, ein gutes, saftiges Kotelett. Eine richtige Henkersmahlzeit, denkt Andreas, und er ist erschreckt darüber, wie es ihm schmeckt. Es ist eine Schande, denkt er, ich müßte beten, beten, den ganzen Tag irgendwo auf den Knien liegen, und ich sitze hier und esse Schweineherz … Es ist eine Schande. Dann kommt Gemüse, zum erstenmal Gemüse, Erbsen. Dann endlich einmal
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