Der Zug war pünktlich
nächste Zug eintrifft. Ihre Haut ist grau und spröde wie schmutzige Milch, und das spärliche, blaßschwarze Haar kriecht dünn unter einem Häubchen hervor, aber ihre Augen sind sanft und traurig, und als sie sich bückt, um den Kaffee in seinen Becher zu gießen, sieht er einen reizenden Nacken. Wie hübsch dieses Mädchen ist, denkt er: alle werden sie häßlich finden, und sie ist hübsch, sie ist schön … auch kleine zarte Finger hat sie … stundenlang möchte ich mir Kaffee eingießen lassen; wenn doch der Becher ein Loch hätte, sie müßte gießen, gießen, ich wür-de ihre sanften Augen und diesen reizenden Nacken sehen, und die sonore Stimme müßte schweigen. Alles Unglück kommt von diesen sonoren Stimmen; diese sonoren Stimmen haben den Krieg angefangen, und diese sonoren Stimmen regeln den schlimmsten Krieg, den Krieg auf den Bahnhöfen.
Zum Teufel mit allen sonoren Stimmen!
Der Mann mit der roten Mütze wartet gehorsam auf die sonore Stimme, die ihren Spruch sagen muß, dann fährt der Zug an, um einige Helden erleichtert, um einige Helden bereichert. Es ist hell, aber noch früh: sieben Uhr. Nie mehr, nie mehr im Leben werde ich durch Dortmund fahren. Das ist doch seltsam, eine Stadt wie Dortmund; ich bin schon oft durchgefahren und noch nie in der Stadt gewesen. Nie im Leben werde ich wissen, wie Dortmund aussieht, und nie im Leben mehr werde ich dieses Mädchen mit der Kaffeekanne sehen. Nie mehr; bald werde ich sterben, zwischen Lemberg und Czernowitz. Mein Leben ist nur noch eine bestimmte Kilometerzahl, eine Eisen-bahnstrecke. Aber das ist doch seltsam, da ist doch keine 14
Front zwischen Lemberg und Czernowitz, und auch nicht viele Partisanen, oder ob die Front über Nacht diesen köstlich tiefen Rutsch gemacht hat? Ob der Krieg ganz, ganz plötzlich zu Ende ist? Ob der Friede noch vor diesem Bald kommt? Irgendeine Katastrophe? Vielleicht ist das göttliche Tier tot, endlich ermordet, oder die Russen haben einen Generalangriff gemacht und alles zusammengehauen bis zwischen Lemberg und Czernowitz, und die Kapitula-tion …
Es gibt kein Entrinnen, die Schläfer sind erwacht, sie fangen an zu essen, zu trinken und zu schwätzen …
Er lehnt im offenen Fenster und läßt den kalten Mor-genwind gegen sein Gesicht schlagen. Saufen werde ich, denkt er, ich werde eine ganze Pulle saufen, dann weiß ich von nichts mehr, dann bin ich mindestens bis Breslau sicher. Er bückt sich, öffnet hastig die Packtasche, aber eine unsichtbare Hand hält ihn davor zurück, die Flasche zu ergreifen. Er nimmt ein Butterbrot und beginnt ruhig und langsam zu kauen. Das ist furchtbar, daß man kurz vor seinem Tod noch essen muß. Bald werde ich sterben, und doch muß ich noch essen. Butterbrote mit Wurst, Flie-gerangriffsbutterbrote, die ihm sein Freund, der Kaplan, eingepackt hat, einen ganzen Packen dickbeschmierter Butterbrote, und das Schreckliche ist, daß sie schmecken.
Er lehnt zum Fenster hinaus, ißt und kaut ruhig und langt manchmal nach unten, wo die offene Packtasche liegt, um ein neues Butterbrot herauszuholen. Dazu trinkt er in kleinen Schlucken den lauwarmen Kaffee.
Es ist furchtbar, in die ärmlichen Häuser zu blicken, wo sich die Sklaven nun fertigmachen, um in ihre Fabriken zu marschieren. Haus an Haus, Haus an Haus, und überall wohnen Menschen, die leiden, die lachen, Menschen, die 15
essen und trinken und neue Menschen zeugen, Menschen, die morgen vielleicht tot sind; es wimmelt von Menschen.
Alte Frauen und Kinder, Männer und auch Soldaten. Soldaten sind irgendwo am Fenster, da einer und dort einer, und alle wissen, wann sie wieder im Zug sitzen und in die Hölle zurückfahren werden …
»Kumpel«, sagt eine rauhe Stimme hinter ihm, »Kumpel, machst du ein Spielchen mit?« Er wendet sich erschreckt um und sagt, ohne es zu wissen: »Ja!« Und sieht im gleichen Augenblick ein Kartenspiel in der Hand eines unrasierten Soldaten, der ihn grinsend anblickt. Ich habe Ja gesagt, denkt er, und dann nickt er und folgt dem Unrasierten. Der Gang ist ganz leer, nur zwei Mann haben sich mit ihrem Gepäck in den Vorraum zurückgezogen, dort hockt der eine, ein langer Blonder mit einem weichen Gesicht, und grinst.
»Hast du einen gefunden?«
»Ja«, sagt der Unrasierte mit der rauhen Stimme.
Bald werde ich sterben, denkt Andreas und setzt sich auf seine Tasche, die er mitgeschleppt hat. Immer, wenn er die Tasche niedersetzt, klappert der Stahlhelm, und als er jetzt den Stahlhelm sieht, fällt
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