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Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.

Titel: Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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wollten und sie konnten sich nicht mit der Fesselung der Wissenschaft abfinden. Wenn sie nicht legal anatomische Studien betreiben durften, mußten sie nach illegalen Möglichkeiten suchen. So begann die zynische Jagd nach Leichen, die heimlich seziert werden konnten. Die Ärzte verbündeten sich mit Totengräbern und Leichenfrauen, damit sie in Totenkammern und Friedhofskapellen Zugang zu Leichen erhielten. Bald gewann der Drang nach Sektionsobjekten seine Eigengesetzlichkeit. Das Bedürfnis schuf sich neue Formen der Bedürfnisbefriedigung. Leichen wurden zur Ware, die dem Verkäufer Gewinn brachte. Der Profit war um so höher, je weniger ihn die Beschaffung der Ware kostete. Er betrug hundert Prozent, wenn er die Ware umsonst erhielt. Deshalb bildeten sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts Banden, die soeben erst bestattete Tote aus den Gräbern rissen und an interessierte Anatomen verkauften. Auf den Friedhöfen spielten sich regelrechte Kriege zwischen Leichenräubern und den Verwandten der Toten ab, die den Diebstahl zu verhindern suchten. Aber die »Auferstehungsmänner« (so genannt, weil sie den Toten vorzeitig zur Auferstehung verhalfen) waren erfinderisch und entdeckten immer neue Tricks, sich Leichen zu verschaffen.
    Diese Zustände setzten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts fort. Burke und Hare waren schon erfahren im Leichenraub, als Hare, bereits Besitzer von Tanners Close, durch Zufall eine ungefährlichere, aber weit einträglichere Möglichkeit fand, Leichen zu bekommen. Tanners Close war nicht nur Gaststätte, sondern auch eine billige Herberge für Bettler, Obdachlose, Wanderburschen.
    Eines Tages nächtigte in Hares Nachtlogis ein alter Mann. Er verstarb, wahrscheinlich an Altersschwäche. Er schuldete Hare noch die Logiskosten, und Hare wollte nicht darauf verzichten. Er wußte aus der Zeit seiner Leichenräuberei, daß die Medizinische Schule des Professors Knox ständig Leichen kaufte. Zusammen mit Burke brachte er den Toten hin, und Knox ließ ihnen dafür sieben Pfund und zehn Schilling auszahlen. Das war ein märchenhaftes Honorar. Und als Knox erwähnte, er würde auch künftig Leichen von ihnen kaufen, hatten die beiden die Grundlage eines neuen Unternehmens erkannt: im Nachtlogis mußten Leichen produziert und an Knox verkauft werden.
    Natürlich war nicht zu erwarten, daß sich bei einem Gast der Zufall eines natürlichen Todes so bald wiederholte. Man mußte schon nachhelfen.
    Dabei gab es aber noch ein Risiko: Würde Knox auch Ermordete kaufen?
    Burke und Hare erprobten es alsobald. Sie erwürgten Abigail Simpson, eine trunksüchtige alte Frau, die sich im Nachtlogis einquartiert hatte. Sie brachten die Leiche zu Knox, der sie besichtigte und ohne eine Bemerkung wiederum sieben Pfund zahlte.
    Weitere Morde folgten. Dabei kamen den Mördern die Zustände in der großen Stadt zugute. Ein zeitgenössischer Bericht von Friedrich Engels schildert sie so: »Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes einzelnen auf seine Privatinteressen tritt um so widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr diese einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind; und wenn wir auch wissen, daß diese Isolierung des einzelnen, diese bornierte Selbstsucht überall das Prinzip unserer heutigen Gesellschaft ist, so tritt sie doch nirgends so schamlos unverhüllt, so selbstbewußt auf als gerade hier in dem Gewühl der großen Stadt. Die Auflösung der Menschheit in Monaden, deren jede ein apartes Lebensprinzip und einen aparten Zweck hat, die Welt der Atome ist hier auf ihre höchste Spitze getrieben. Daher kommt es denn auch, daß der soziale Krieg, der Krieg Aller gegen Alle, hier offen erklärt ist.«
    Diese soziale Isoliertheit der Opfer, ihre Anonymität in der großen Stadt begünstigte die Mörder. Niemand vermißt die Toten, niemand findet ihre Spuren, solange er auch sucht. Sie, die »Opfer der Wunder der Zivilisation«, sind auch die Opfer einer sinnlos gefesselten Wissenschaft geworden, was sie auch tun, wie sie auch heißen, die Toten im Nachtlogis: der Müller Joseph, der Zündholzverkäufer Smith, die Bettlerin Mary Haldane und ihre Tochter Margret und ihr Enkel, dem Burke das Rückgrat brach. Manche der Opfer sind namenlos, andere in monströser Weise prominent. So beispielsweise Mary Peterson, eine junge Straßenhure von noch außergewöhnlicher Schönheit, allseits deshalb in Edinburgh bekannt. Burke hatte Mary in einem Lokal kennengelernt und ihr angeboten, in

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