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Der Zweite Messias

Titel: Der Zweite Messias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Meade
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achtundzwanzig Tagen verstorben, sein Körper einbalsamiert, seine päpstlichen Insignien zerbrochen und sein Leichnam beigesetzt worden war, zog eine Prozession von einhundertzwanzig Kardinälen in ihren roten Seidenroben und mit den roten Hüten in die Sixtinische Kapelle, um den neuen Oberhirten der Christenheit zu wählen.
    Doch auch nach neunundzwanzig geheimen Wahlgängen hatten die Kardinäle sich noch nicht auf einen neuen Papst geeinigt. Als die Uhr zwölf schlug und noch immer keine Entscheidung getroffen war, sah die katholische Kirche ihrer fünften Woche ohne geistiges Oberhaupt entgegen.
    So unsicher und ängstlich das Kardinalskollegium auch war – in einer Sache herrschte Einigkeit: Um Mitternacht musste eine Entscheidung getroffen werden.

    Kardinal Umberto Cassini hatte das Gefühl, vor einem Herzanfall zu stehen. Der kleine, drahtige Sizilianer mit den wässrigen braunen Augen lächelte oft und gern, doch jetzt war seine Miene ernst, und auf seiner Stirn schimmerte Schweiß. Seine Hände zitterten, und ein beängstigender Schmerz wühlte in seiner Brust.
    Die Luft in der Sixtinischen Kapelle war abgestanden und roch nach Schweiß. Sämtliche Fenster und Türen waren verschlossen, und die Lichter brannten. Die Temperatur betrug zweiunddreißig Grad, und die Atmosphäre unter den Versammelten war ängstlich und angespannt. Cassini warf einen Blick auf die Wanduhr: 23.00 Uhr.
    Er saß an einem Holztisch. Sein Blick schweifte zu Michelangelos berühmtem, riesigem Wandgemälde, das die Schreckender Apokalypse zeigte, doch Umberto Cassini hatte in dieser Nacht mit seinen eigenen Ängsten zu kämpfen.
    Im Lauf der Geschichte hatte es stürmische, mitunter turbulente Papstwahlen gegeben. Das Konklave von 1831 beispielsweise hatte fünfzig Tage gedauert; die Unentschlossenheit der Kardinäle hätte die Kirche damals beinahe vernichtet. Und nun schien es, als würde sich in dieser Nacht ein weiteres albtraumhaftes Gewitter zusammenbrauen. Als Camerlengo war Cassini jener Mann, auf dessen Schultern die Aufgabe ruhte, die Wahl eines päpstlichen Nachfolgers sicherzustellen.
    Vor zwei Stunden war der neunundzwanzigste Wahlgang beendet worden, und noch immer war keine Entscheidung gefallen.
    Hat Gott seine Kirche in der Stunde der Not verlassen? , fragte Cassini sich verzweifelt.
    Von den drei aussichtsreichsten Kandidaten hatte noch keiner die erforderliche Mehrheit von achtzig Stimmen erhalten. Seit fast zwei Wochen schon endeten sämtliche Wahlgänge damit, dass die Kandidaten ungefähr dieselbe Stimmenzahl erhielten, ohne dass es bisher gelungen wäre, diese Pattsituation aufzulösen. Das Konklave war in arger Bedrängnis. In der Hoffnung, einen Ausweg zu finden, war der Vorschlag unterbreitet worden, einen weiteren Kandidaten zu nominieren, den amerikanischen Kardinal John Becket. Die Strategie, die hinter diesem Vorschlag stand, war klar: Becket sollte ein eindeutiges Wahlergebnis herbeiführen und dadurch einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation weisen.
    Cassini leckte sich nervös die Lippen. Bis Mitternacht waren es noch genau sechzig Minuten. Die Anspannung brachte ihn fast um.
    Er warf John Becket, der ihm gegenüber an einem der Tischesaß, einen Blick zu. Der siebenundfünfzigjährige Amerikaner war von beeindruckender Gestalt: groß, schlank, mit blondem Haar und freundlichen blauen Augen. Sein Gesicht war sonnengebräunt, und seine Hände wiesen die Schwielen eines Arbeiters auf. Es waren Hände, die zupacken konnten.
    Zugleich haftete diesem Mann etwas Königliches an. Niemand konnte sich Beckets Ausstrahlung entziehen. Alle, die ihn näher kannten, sprachen bewundernd von seiner einzigartigen Persönlichkeit und seinem Charisma. Der Sohn eines Chicagoer Anwalts hatte der Welt bewiesen, dass er ein gelehrter, frommer Geistlicher war, der beschlossen hatte, die Annehmlichkeiten aufzugeben, die seine amerikanische Heimat bot, um ein strenggläubiges, beinahe asketisches Leben zu führen.
    Anfangs war Becket als ein wenig zu jung für das päpstliche Amt betrachtet worden. Jetzt aber fragte Cassini sich, wie die Wahl wohl ausgehen würde.
    Das Konklave hatte sich zurückgezogen, um zu beten und göttlichen Ratschlag zu erbitten. Nun kehrten die Kardinäle zurück und legten ihre zusammengefalteten Wahlzettel zuerst auf eine goldene Patene, dann in einen goldenen Kelch. Anschließend kehrten sie an ihre jeweiligen Plätze zurück und warteten, bis die drei Wahlhelfer, die hinter der Patene und

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