Der Zweite Messias
Steinkante versehen und mit Kies bedeckt. Unterhalb des Grabes befand sich eine Schlucht; darüber gab es nur den Wüstenwind und den blauen Himmel, an dem ab und zu ein Falke kreiste.
Das Leben hatte Jack Cane eine grausame Lektion erteilt: Trauer war das schwerste Kreuz, das man tragen muss. Und heute hatte er mehr denn je das Bedürfnis, mit den Seelen seiner Eltern zu sprechen.
Cane ging zum Heck des Land Cruisers. Die glühende Sonne der judäischen Wüste brannte erbarmungslos vom Himmel, doch dem neununddreißigjährigen Cane machte es kaum etwas aus. Seinem gebräunten Körper war anstrengende Arbeit nicht fremd, und unter seinem jungenhaften Äußeren verbarg sich ein harter Kern.
Das Outfit des Archäologen – eine verstaubte, abgeschnittene Khakihose und abgetretene Lederstiefel – kündete von der harten Arbeit an der Ausgrabungsstätte. Doch statt körperlicher Erschöpfung verspürte Cane an diesem Tag unbändige Freude. Genau heute, am Todestag seiner Eltern, hatte er einen erstaunlichen Schatz gefunden.
Cane schirmte seine Augen mit einer Hand vor der grellen Sonne ab und blickte hinaus in die flirrende Weite der Landschaft. Die Hügelkette zog sich bis in das mehr als zwanzig Kilometer entfernte Jerusalem hin. Die Stadt schimmerte wie eine Fata Morgana in der heißen Sonne, und der berühmte Felsendom funkelte in der Ferne wie ein Spiegel.
Ich habe lange auf diesen Tag gewartet, habe aber nicht geglaubt, dass er jemals kommen würde.
Cane schloss die hintere Tür des Land Cruisers auf. Auf demRücksitz lagen ein Strauß weißer Lilien und mehrere Literflaschen Trinkwasser. Vorsichtig nahm er die Blumen und Flaschen aus dem Wagen und drehte sich wieder zum Grab um. Seine Augen wurden feucht.
Es verging kein Tag, an dem er nicht an den tragischen Tod seiner Eltern dachte. Der schreckliche Verlust hatte sein Leben für immer verändert. Doch heute hatte er etwas Wichtiges zu sagen.
Hören die Seelen der Toten die Worte der Lebenden? Ich hoffe es.
Von Gefühlen überwältigt, ging Jack Cane zu dem Grab.
4.
I SRAEL,
DREI K ILOMETER VOR DER K ÜSTE T EL A VIVS
Es war eine Jacht, die eines saudischen Königs würdig gewesen wäre, doch der Mann, dem sie gehörte, war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen.
Das schnittige weiße Schiff mit der funkelnden, verchromten Reling war kurz nach Mitternacht vor der israelischen Küste vor Anker gegangen. Eine Fünfzig-Millionen-Dollar-Jacht, ausgestattet mit neuester Technologie, einem Hubschrauberlandeplatz, zwei Bars, einem Tanzsaal und einem Dutzend Luxuskabinen für die verwöhnten Gäste.
Um die Mittagszeit jagten drei leuchtend rote Honda-Jetskis um das Schiff herum und wirbelten das warme blaue Wasser des Mittelmeers auf. Die drei muskulösen Bodyguards, die mit denJetskis fuhren, gehörten zu den drei Dutzend Besatzungsmitgliedern der Jacht, worunter sich auch ein französischer Spitzenkoch aus einem berühmten Pariser Restaurant befand.
An diesem Wochenende waren drei hübsche Frauen zu Gast. Eine war ein bildschönes Playmate; die beiden anderen waren Pariser Topmodels, hübscher als Botticellis Engel. Sie trugen Bikinis und sonnten sich am Heck der Jacht neben dem Swimmingpool, dessen Wasser türkisblau schimmerte. Der Mann, dessen Großzügigkeit sie genossen, stand neben dem Pool.
Hassan Malik trug einen Leinenanzug und blickte zum Himmel. Er hatte ein markantes Gesicht und strahlte die Ruhe eines Mannes aus, der seinen Körper und seine Gefühle vollkommen unter Kontrolle hat. Seinen intelligenten, rastlosen Augen schien nichts zu entgehen.
In diesen Sekunden waren Maliks Blicke jedoch nicht auf seine drei hübschen Gefährtinnen gerichtet, sondern auf die israelische Küste am Horizont und den Bell-Helikopter der Jacht, der Kurs auf das Schiff nahm.
Hassan Malik war in einem Dutzend Hauptstädten der Welt zu Hause – in seinem New Yorker Penthouse im Trump Tower, in seinen Wohnungen in London und Cannes und in seiner palastartigen Villa vor den Toren Roms. Doch richtig heimisch fühlte er sich nirgends. Sein Herz und seine Seele gehörten den Wüsten seiner beduinischen Vorfahren. Malik war in schrecklicher Armut aufgewachsen, doch gerade diese Armut hatte ein Feuer in ihm entfacht und ihm einen immensen Reichtum beschert, von dem andere Menschen nur träumen konnten.
Er hörte das Knattern der Rotoren, als der Bell-Helikopter eine scharfe Kurve flog und zur Landung ansetzte. Einen kurzen Augenblick schwebte der Hubschrauber
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