Der zweite Mord
öffnete und wieder auf den Gang trat. So schnell er es wagte, ging er die Treppe hinunter. Vor dem Stationstrakt blieb er stehen. Vorsichtig öffnete er die Tür der im Dunkel liegenden Station. Schwester Siv saß vor dem Schwesternzimmer auf dem Fußboden und schluchzte. Sie hatte die Knie eng an die Brust gezogen und wiegte sich hin und her. Als sie den Arzt sah, wurde aus dem Schluchzen ein lautes Heulen.
»Sie … sie! Ich habe sie gesehen!«
»Wen?«, fragte der Arzt etwas schärfer als beabsichtigt.
»Das Gespenst! Schwester Tekla!«
Sprachlos sah Sverker Löwander auf die tränenüberströmte Krankenschwester hinab. Ein paar Sekunden lang stand er reglos da und dachte nach.
»Hier! Nehmen Sie die Taschenlampe und gehen Sie ins Schwesternzimmer.« Willenlos trottete sie hinter ihm her und ließ sich auf den Schreibtischstuhl drücken.
Sverker Löwander stürmte durch die Tür der Station die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Der helle Mondschein erleichterte sein Vorwärtskommen. In der großen Eingangshalle sah er sich gezwungen, seine Schritte zu verlangsamen. Hier zwischen den Pfeilern des Jugendstilgewölbes war das Dunkel undurchdringlich. Als er sich zur Eingangstür vorgetastet hatte und diese gerade öffnen wollte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. Er wurde beobachtet. Er hatte das Gefühl, jemand stehe zwischen den Pfeilern und sehe ihn an. Er tastete sich zum Schloss vor. Als sich die schwere Tür endlich öffnete, hätte er beinahe vor Erleichterung geschrien. Die frische Nachtluft kühlte seine feuchte Stirn, und er holte tief Luft.
»Ich habe das gesamte Obergeschoss durchsucht. Nirgends auch nur eine Spur von Schwester Marianne. Sie scheint auch nicht im Zwischengeschoss zu sein. Wahrscheinlich ist sie im Untergeschoss oder im Keller. Wenn sie nicht in den Park gegangen ist.«
Dr. Löwander versuchte die Polizisten schnell auf den letzten Stand zu bringen, was seine Suche nach Marianne Svärd anging. Bengtsson, der Hausmeister, hatte seine eigene Taschenlampe dabeigehabt, und war bereits im Keller, um nachzusehen, was mit der Stromversorgung und dem Notstromaggregat los war.
Auch die beiden Polizisten hatten starke Taschenlampen. Die drei Männer standen in der großen dunklen Eingangshalle und sprachen miteinander. Der ältere der beiden Polizisten hatte sich als Polizeihauptmeister Kent Karlsson vorgestellt. Er ließ den Lichtkegel über die Wände der großen Eingangshalle gleiten. Dr. Löwander konnte sich mit einer gewissen verärgerten Erleichterung davon überzeugen, dass sich niemand zwischen den Pfeilern verbarg.
»Wenn Sie uns die Schlüssel geben, drehen Jonsson und ich hier oben auf dem Stockwerk eine Runde und …«
»Hallo! Hilfe! Da ist sie!«
Ein Ruf aus der Unterwelt unterbrach den Polizeihauptmeister. Ein schwankendes Licht wurde auf der Kellertreppe sichtbar, stolpernde Schritte waren zu hören. Die Taschenlampe des Hausmeisters kam über der letzten Treppenstufe zum Vorschein, sie blendete sie so, dass sie ihn im Gegenlicht nicht sehen konnten. Umso deutlicher war seine aufgeregte Stimme zu hören:
»Hier ist Schwester Marianne!«
»Wo?«, fragte Dr. Löwander scharf.
»In der Elektrozentrale … Ich glaube … ich glaube, sie ist … tot.«
Bei den letzten Worten versagte Bengtssons Stimme, nur ein heiseres Keuchen war zu hören. »To … ot!«, flüsterte das Echo zwischen den Pfeilern.
Sie lag über dem Notstromaggregat vornübergebeugt. Die Männer in der Tür sahen nur ihre Beine und ihren Hintern. Sie trug lange Hosen. Kopf und Arme hingen über die andere Seite. Ihre kurze Kittelbluse legte einen Teil des Rückens frei. Dr. Löwander sah, dass ihr ein Schuh fehlte. Vorsichtig ging er um das Aggregat herum. Er beugte sich vor und fühlte pflichtschuldigst nach dem Puls der Halsschlagader. Aber die Totenstarre hatte bereits eingesetzt. Ihr dicker, dunkler Zopf schleifte auf dem Boden. Ein scharfer, rotblauer Streifen lief um ihren Hals herum.
»Sie ist tot«, sagte er tonlos.
Polizeihauptmeister Karlsson übernahm das Kommando.
»Wir verlassen jetzt diesen Raum. Fassen Sie nichts an. Ich lasse Verstärkung kommen.«
Dr. Löwander nickte und trottete gehorsam hinter den anderen her.
»Wir müssen zu Schwester Siv auf die Station. Sie ist da oben ganz allein«, sagte er.
Polizeihauptmeister Karlsson sah ihn erstaunt an.
»Nachtschwestern sind es doch wohl gewöhnt, nachts allein zu sein?«
»Natürlich. Aber sie hat einen Schock
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