Der zweite Tag
Jakob müsste sich der Ehre bewusst sein, die ihn ereilt, wenn er durch meine Kraft stirbt.
*
Ich versuchte mir die Luftreserven in meinen Lungen gut einzuteilen, richtig zu atmen. Der Aufprall meiner Schritte brannte in meinem Oberkörper. Lexxer gab das Tempo vor, ich wusste wie wichtig es war, Schritt zu halten. Baumwurzeln säumten den Weg, der mit jedem Meter weicher wurde. Was mir ganz und gar nicht gefiel.
„Wir nähern uns dem Moor, hier müssen wir besonders aufpassen“, keuchte Lexxer.
Ich nutzte die Gelegenheit, um eine Frage zu stellen, die mich seit seinem Auftauchen beschäftigte. „Bist du Neuss‘ Sohn?“
Der schöne Zentaur lächelte. „Ja, aber das ist jetzt nicht wichtig.“ Seine Hufe versanken bereits im schwarzen Morast.
Es roch nach Tod und Aufgeben. Aber diese beiden Wörter verbannte ich nun aus meinem Gedächtnis, aus meinem ganzen Leben. Wir gingen langsam weiter. Anscheinend gab es keine Möglichkeit, diesen Sumpf zu umgehen. Diese Unterwelt war nicht unendlich, die einzigen Lichtquellen waren quallenartige Gebilde, die weiß leuchtend an den Wurzeln hingen. Sie schienen lebendig zu sein. Es war schwer, Dinge, die in der Ferne lagen, auszumachen. Man konnte nur vermuten, dass der Lebensraum wie ein Tunnel funktionierte, gigantisch groß, aber im Endeffekt eben nur ein Gang. Ich stand knöcheltief in der kühlen Brühe.
„Lass dich nicht von den Sumpfegeln erwischen“, sagte Lexxer, nicht ohne den Anflug eines ironischen Lächelns.
Ich tat dies ab, als hätte er gerade erwähnt, dass ich zu keinen Männern ins Auto steigen solle, die mir Süßigkeiten anbieten: „Lexxer, ich bin ein Vampir und mausetot. Ich hab keine Angst vor solch Ungeziefer.“
Der Zentaur nickte und ging voran. Es vergingen keine zwei Minuten, bis ich spürte, wie sich etwas Glitschiges um meine Füße wickelte und mich nach unten zog, hinein ins schwarze Loch des Sumpfes. Es geschah wie in Zeitlupe. Ich begriff erst zu spät, dass das harmlose Ungeziefer doch nicht so harmlos war. Diese Sumpfegel waren schlangengroße Kriechtiere, die ihren Lebensraum im Morast gefunden hatten und ständig hungrig nach Frischfleisch waren, und vor allem waren sie um ein vielfaches größer als ihre irdischen Artgenossen, die Blutegel.
Lexxer seufzte, drehte sich um und zog mich mit einem kräftigen Ruck aus der weichen Masse. Ich schauderte vor Erregung, weil ich seine unermessliche Kraft so bewunderte. Hartnäckig ve rhielten sich die hungrigen Tierchen an meinen Füßen, zwei waren es an der Zahl. Lexxer band sich einen nach dem anderen um seine Hände wie ein Armband und erdrückte sie. „Immer das gleiche mit den Touristen, die keine Ratschläge annehmen wollen“, zeterte er leise.
Ich zuckte zusammen, als ich seitlich an den Wurzelwänden zwei Gestalten ausmachte, die im Licht der Kra ken anmutig und fast geduldig auf meine Aufmerksamkeit warteten. Sie klammerten sich an die Wurzeln wie Tiere, was aber keineswegs unbeholfen aussah. Vielmehr glaubte man, sie seien Teil der Bäume. Die beiden Kreaturen waren Vampire und ich kannte sie. Robert und Julian. Sie grinsten teuflisch.
„Wir haben etwas, das dir viel bedeutet“, krächzte Julian. „An deiner Stelle würd ich mit dem lächerlichen Spiel aufhören, das du hier veranstaltest und einfach mit uns mitkommen.“
Mir wurde so kalt wie noch nie zuvor in meinem Leben und Dasein als Vampir. Ich erstarrte innerlich zu Stein. Meine schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden. Ich brachte kein Wort heraus.
Mein Freund und Helfer, der Zentaur, wollte sich aus dem Moor befreien und steuerte auf die Blutsauger zu.
Ich brauchte all meine Kraft, um zu sprechen. „Lexxer, lass gut sein. Das ist nicht deine Geschichte. Ich werde alles tun, was sie wollen.“
„Aber… das ist doch Selbstmord.“ Das stattliche Fabelwesen schaute mich traurig an.
„Halt dich raus, Bastard“, fauchte Robert. „Dann lassen wir dich vielleicht am Leben.“
Ich trat immer wieder ins Leere und bekam noch keinen Halt, aber ich kämpfte mich langsam zu den Wurzeln vor.
Die beiden Vampire kletterten höher hinauf und geradeaus weiter. Ich folgte ihnen so gut und schnell es ging. Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Ich wusste, dass die Rede von Elias war und ich ahnte, dass er in Lebensgefahr schwebte. Es musste keine Entscheidung mehr getroffen werden. Wenn ich ihn durch mein Opfer retten konnte, so möge das Unausweichliche
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