Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
schaute nach unten und wirkte durch die Fluten bleich und verschwommen. Konnte er sie schon sehen? Grimma verwarf den Gedanken an ihren Streich. Was war überhaupt in sie gefahren? Sie waren keine Kinder mehr. Und nur, weil sie ihn mochte, musste sie sich nicht aufführen wie ein junges Mädchen. Als Nächstes würde sie sich noch Blumen ins Haar stecken!
    Sie hatte die Oberfläche fast erreicht, als ihr etwas Sonderbares auffiel. Der Lichtschimmer, der von oben herabfiel, war dunkler geworden. Und er war rot.
    Mit einem Aufschrei, der in einer Flut von Luftblasen erstickte, bremste Grimma ihren Aufstieg und ließ sich zurück in die Tiefe sinken. Die Luft ging ihr aus. Ihre Brust fühlte sich an, als müsste sie jeden Augenblick auseinanderplatzen.
    Hoch über ihr trieb Styrmirs Körper in einer blutroten Aura aus Dämmerlicht. Seine Beine und Arme waren abgespreizt, vollkommen reglos. Sein Gesicht schaute immer noch nach unten, die Augen weit aufgerissen und dennoch blind. Dunkelrote Wolken wogten in pulsierenden Schüben um seinen Schädel.
    Strampelnd, jetzt vollends in Panik, stieß Grimma gegen die Felswand. Ihre Hände tasteten umher, fanden den Rand des Tores, zogen sich hindurch. Auf der anderen Seite, im Vorraum des Tempels, raste sie dem Licht entgegen. Brach mit einem wilden Schrei durch die Oberfläche. Sog die Luft ein, bis sich ihre Lungen zu verkrampfen schienen.
    Abgekämpft schleppte sie sich die vorderen Stufen empor ins Trockene, saß da, die Hände vors Gesicht geschlagen und dennoch unfähig, Tränen zu vergießen.
    Sie hätte nicht jedes der Gefühle benennen können, die in ihr tobten, und doch war da eines, das alle anderen überwog, mehr noch als ihre Trauer um den Freund: Hass loderte wie ein verzehrendes Feuer in ihr, und als sie die Tarnkappe aus dem Hosenbund zog und über ihren Kopf streifte, da tat sie es mit keinem anderen Gedanken, als mit ihrer Hilfe so viele Leben wie möglich zu vernichten.
    Sie packte mit unsichtbarer Hand ihre Axt, watete zurück ins Wasser und tauchte abermals hinab zum Tor. Sie stieß mit der Schulter gegen den Rand, weil sie kein Gefühl für ihre eigene Breite und Form hatte, schwamm trotzdem weiter und jagte auf der Tunnelseite der Wasseroberfläche entgegen. Sie war unsichtbar, gewiss, und doch würde das Wasser sie verraten. Ihre Gegner mussten Styrmir erwartet haben, als sein Kopf durch die Oberfläche stieß. Wahrscheinlich hatte er sie nicht einmal gesehen; sie hatten ihn erschlagen, bevor er sich noch die Nässe aus den Augen reiben konnte. Grimma konnte das Gleiche passieren, unsichtbar oder nicht, falls einer der Feinde zuschlagen würde, sobald sich die Oberfläche bewegte. Aber sie hatte keine andere Wahl. Ihr einziger Wunsch war es, so viele Gegner wie möglich mit in den Tod zu nehmen. Selbst Thorhâl und das Volk vom Hohlen Berg waren in diesem Augenblick vergessen.
    Das Licht kam näher und mit ihm Styrmirs Leichnam und die Klingen der Feinde. Grimma raste wie ein Geschoss empor, brach durch die Oberfläche und zog sich ins Trockene, ohne sich umzuschauen. Ihr einziger Vorteil war die Überraschung. Wenn das Staunen ihrer Gegner über das aufgewühlte Wasser erst in Begreifen umschlug, war es zu spät.
    Grimma sprang auf, eine Explosion aus Wassertropfen, die von ihrem unsichtbaren Körper in alle Richtungen spritzten. Doch ihre Befürchtung, sich dadurch zu verraten, war unbegründet. Die neun Nordlandzwerge, die am Ufer des Wasserlochs standen, waren starr vor Staunen. Sie hatten noch immer nicht begriffen, weshalb sich das Wasser bewegte, als sei etwas von unten heraufgestiegen, obwohl nicht das Geringste zu sehen war.
    Grimma lachte, ein eisiges Lachen als Vorspiel des Tötens. Ungeachtet aller Regeln ehrenvollen Kampfes fuhr sie unter die Feinde, spaltete mit ihrer unsichtbaren Waffe Schädel, hieb Glieder entzwei und zertrümmerte Gesichter. Sie schlug nicht gezielt zu, ließ einfach die Axt umherwirbeln, als besäße sie eigenes, unheilvolles Leben. Blut sprühte aus Wunden und Stümpfen, Knochen splitterten und Innereien ergossen sich prasselnd über den Höhlenboden. Und noch immer gab es keine Gegenwehr. Innerhalb weniger Augenblicke lag ein halbes Dutzend Zwerge tot oder sterbend am Boden, und der Rest ergriff in heilloser Panik die Flucht. Grimma ließ keinen davonkommen. Unsichtbar stürmte sie ihnen hinterher und erschlug zwei von hinten. Der Letzte ließ sich schreiend zu Boden fallen, rollte sich zusammen wie ein junger Hund

Weitere Kostenlose Bücher