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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gehen, als Grimma sagte:
    »Warte!« Sie eilte mit wenigen Schritten zu den Opfergaben, wischte mit der Axt Spinnweben und Staub beiseite. »Wenn das hier wirklich den Nordlingen dargebracht wurde, dann will ich wenigstens sichergehen, dass nichts darunter ist, das bei uns besser aufgehoben wäre.«
    Styrmir trat neben sie und beugte sich ebenfalls über die Gegenstände. Grimma zog ein paar Kurzschwerter, Beile und Dolche aus dem Haufen, doch die meisten waren rostig oder von Grünspan überzogen. Die Kleider zerfielen schon bei der leichtesten Berührung zu faserigem Brei. Darunter lagen mehrere Schriftrollen, so brüchig, dass sie sich nicht öffnen ließen. Als Styrmir einige der Fetzen untersuchte, schüttelte er nur verständnislos den Kopf, die Schrift darauf hatte er nie zuvor gesehen. Grimma untersuchte derweil Teile einer Rüstung, Helm und Handschuhe aus Stahl, ein verrostetes Kettenhemd und Armschienen. Sie legte alles beiseite, grub tiefer in dem verrottenden Opferhaufen und beförderte schließlich etwas Sonderbares ans Licht. Styrmir zog scharf die Luft durch die Zähne.
    »Was ist das?«, fragte Grimma und hob das Ding mit spitzen Fingern in die Luft.
    Es war ein feines Metallgewebe, aus winzigen Gliedern gefertigt, und es hatte die Form einer Kapuze, rundherum von gleicher Länge, sodass es das ganze Gesicht bis zum Kinn verbarg. Zwei Öffnungen waren für die Augen freigelassen worden. Die Oberfläche hatte sich im Laufe der Jahre dunkel gefärbt, aber Rost war keiner zu sehen.
    »Pures Silber!«, entfuhr es Grimma beeindruckt. Nicht der Wert verblüffte sie, sondern die kunstvolle Verarbeitung. Die Kettenglieder, aus denen die Kapuze gewebt war, waren so klein, dass sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen waren. Niemals zuvor hatte Grimma etwas Derartiges gesehen. Trotz aller Pracht des Nibelungenhortes gab es im Hohlen Berg nichts von vergleichbarer Kunstfertigkeit.
    Styrmir betrachtete es sachlicher, doch auch er konnte sein Erstaunen nicht gänzlich verhehlen. »Warum hat man so etwas einfach hier liegen gelassen?«
    »Nicht liegen gelassen«, verbesserte Grimma düster. »Geopfert. Das ist ein Unterschied. Für die Götter nur das Beste.« Sie betrachtete die Kapuze von allen Seiten. »Ich frage mich nur, wofür das Ding gut sein soll? Im Kampf bietet es keinen Schutz, dazu ist Silber viel zu weich. Und als Schmuckstück verhüllt es das Gesicht des Trägers. Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Zieh es über«, verlangte Styrmir.
    »Ich?« Grimma hob eine Augenbraue. »Warum nicht du?«
    »Du bist eine Frau. An dir wird es besser aussehen.«
    Grimma tat geschmeichelt, rollte die Ränder der Kapuze auf, hob sie mit beiden Händen hoch – und stülpte sie mit einer blitzschnellen Bewegung über Styrmirs Kopf.
    Styrmir verschwand. Löste sich einfach in Luft auf. Im einen Augenblick stand er da, das Silbergewebe halb über das Gesicht gezogen, im nächsten war er fort.
    Grimma ließ die Kapuze mit einem entsetzten Aufschrei los, taumelte zwei Schritte zurück und wäre fast über die Stufen des Altars gestolpert. Mit einer Hand fing sie ihren Sturz ab, mit der anderen riss sie ihre Axt vom Gürtel.
    Ein wilder Fluch ertönte – Styrmirs Stimme! –, und nur wenige Herzschläge später war der verschwundene Zwerg wieder zu sehen, stand unverändert an derselben Stelle und schleuderte die Kapuze in weitem Bogen von sich.
    »Was, bei allen Göttern, war
das
?«, rief er aus, das Gesicht zur Grimasse verzerrt.
    Grimma näherte sich zögernd dem verschlungen daliegenden Silbergewebe, sehr langsam, als fürchtete sie, die Kapuze könnte davonhuschen oder sie gar angreifen wie ein bizarres Lebewesen. Mit der Stiefelspitze stieß sie dagegen, hob sie dann mit der Axt vom Boden.
    »Albenmagie!«, flüsterte sie beeindruckt. »Also doch.«
    Styrmirs Stimme klang flattrig, seine Züge unter der Gesichtstätowierung waren kreidebleich. »Ich konnte mich nicht mehr sehen … ich meine, ich hab’ an mir runtergeschaut, und ich war … einfach weg!«
    »Unsichtbar«, murmelte Grimma zu sich selbst. Dann drehte sie sich zu Styrmir um. »Weißt du, was das ist?«
    »Natürlich weiß ich das!«, gab er giftig zurück, als hätte sie ihn in seiner Ehre gekränkt. »Eine Tarnkappe. Genau wie in den alten Legenden.« Und plötzlich wurde ihm klar, was er da gesagt hatte. »Dann ist es wahr«, flüsterte er atemlos.
    Grimma nahm die Kapuze zaghaft von der Axtklinge und rieb das Silbergewebe zwischen den Fingern. »Was

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