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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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liebevoller Sorgfalt eingerichtet hatte, war kühl und still, erfüllt von dem milden Licht eines Märzmorgens. Er zog seinen Morgenmantel an und tappte in das langgestreckte Wohnzimmer, vorhanglos und friedvoll mit den glänzenden Ulmenböden, den Büchern, dem Klavier, den Bildern. Das Licht am Anrufbeantworter blinkte nicht. Niemand hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass seine Schwester gestorben war.
    Er füllte Bohnen in die Kaffeemühle und Wasser in den Filter. In einer halben Stunde würden die ersten Autos auf ihre Parkplätze vor dem Haus biegen, und die Geräusche der früh zur Arbeit Gekommenen würden durch das Treppenhaus hallen. Der Rest des georgianischen Gebäudes war längst in Büros für diverse Diözesanorganisationen und zwei Anwaltskanzleien umgewandelt worden. Simon besaß die einzige Privatwohnung im Haus. Normalerweise war er um acht schon auf dem Revier und kam oft erst nach sieben heim, daher traf er selten jemanden, der hier arbeitete – während des Tages hatte das Gebäude ein eigenes Leben, von dem er wenig wusste. Das passte ihm gut, so zurückhaltend und reserviert, wie er war, zufrieden in seinen stets ordentlichen Räumen. Er übte seinen Beruf mit Begeisterung aus, hatte bislang fast jeden Tag seines Polizeidienstes genossen, aber sein Rückzugsort hier war ihm äußerst wichtig.
    Mit dem Kaffeebecher in der Hand trat er zu den drei Zeichnungen, die gerahmt an der Wand neben den hohen Fenstern hingen. Sie stammten von seiner letzten Venedigreise, und er sah sofort, dass sie besser waren als alles, was er in den wenigen Tagen dort zu Papier gebracht hatte. Es klappte schon seit längerer Zeit nicht recht mit dem Zeichnen, so verstört, wie er seit den Ereignissen des vergangenen Jahres war. Der Mord an Freya Graffham hatte ihn schwer getroffen, und nicht nur, weil der Tod eines Polizeikollegen stets ein Schlag war, von dem man sich nur mühsam erholte.
    Nein, sagte er, ging mit energischen Schritten zurück in die Küche, um sich mehr Kaffee zu holen. Fang nicht damit an, nicht schon wieder.
    Er zog Jeans und ein Sweatshirt an und holte die Segeltuchtasche mit seinen Zeichensachen. In den Büros begann die Arbeit, Stimmen drangen durch halboffene Türen, Wasserkessel pfiffen in Kochnischen. Seltsam, dachte Simon. Das Gebäude wirkte anders, gehörte nicht mehr ihm. Seltsam. Seltsam, an einem Wochentag Jeans zu tragen statt eines Anzugs, seltsam, hier zu sein, statt über einen venezianischen Kanal zu blicken. Seltsam und verwirrend.
    In raschem Tempo fuhr er aus Lafferton hinaus.
     
    Auch das Krankenhaus wirkte wie ein anderer Ort. Er hatte Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden, die Eingangshalle war voller Menschen auf dem Weg zu ihren Ambulanz-Sprechstunden, Pfleger schoben Rollstühle, Gruppen von Studenten standen herum, Blumen wurden geliefert, zwei Frauen bauten einen Wohlfahrtsstand auf. Hier unten war der Geruch nach Antiseptika kaum wahrnehmbar.
    Der Aufzug war voll, auf den Stationen war es laut. Irgendwer ließ einen Eimer fallen und fluchte. Aber in Marthas Zimmer hatte sich nichts verändert. Die Monitore piepsten, die fluoreszierenden grünen Wellenlinien schlängelten sich über die Bildschirme, die Flüssigkeit in dem Plastikbeutel über ihrem Kopf tropfte langsam. Zuerst meinte Simon, auch seine Schwester sehe unverändert aus, aber als er näher trat, erschien ihm ihre Haut etwas dunkler. Ihre Haare waren feucht, ihre Augenlider zart, wie die weiche Haut von Pilzen.
    Er fragte sich, wie er es bei jedem Wiedersehen tat, wie viel in ihrem Kopf vorging, was sie erkannte und begriff, ob sie denken konnte, und wenn ja, wie tief ihre Gedanken waren. Dass sie etwas
fühlte
, bezweifelte er nicht. Ihre Gefühle hatten ihn stets bewegt, denn sie äußerte sie wie ein Baby, weinte und lachte oft unvermittelt und aus vollem Herzen, hörte genauso schnell wieder damit auf, wobei es ihm immer schwergefallen war, zu erkennen, was diese Gefühle hervorrief, ob sie damit auf etwas Äußerliches oder Innerliches reagierte.
    Ihre Behinderung wirkte sich derart auf ihre Gesichtszüge aus, dass es schwer war, Familienähnlichkeiten zu entdecken, aber für Simon hatte das ihre Einzigartigkeit nur noch verstärkt.
    Er zog einen Stuhl nahe an ihr Bett.
     
    Er war so ins Zeichnen vertieft, dass er das Öffnen der Tür nicht bemerkte. Er wollte den Geist seiner Schwester einfangen, indem er sie auf Papier von den medizinischen Apparaten befreite, die sie umgaben, und als

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